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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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brüllen. Wir rennen los, hetzen durch die endlosen Hotelgänge, fahren mit dem Fahrstuhl vierzehn Stockwerke nach u n ten. Neun Uhr fünfunddreißig. Wir haben es geschafft. Wir stehen auf der Uliza Warwarka Ecke Kitajski Pro s pekt.
    Es dauert einen Moment, bis wir begreifen. Mutter ist nirgends zu sehen. Hi n ter der Absperrung bewegt sich ein gewaltiger Menschenstrom zum Roten Platz. Polizei und Or d nungshüter bilden eine undurchdringliche Kette zwischen uns und den Demonstranten. Wir sind zu spät. Wir können kein Russisch. Wir ko m men nicht mehr rein in den Festumzug. Es ist ein Alptraum.
    So kam es, daß wir den Ersten Mai in Moskau verpaßten, weil Großmutter schön sein wollte! Nun standen wir da wie die Trottel und durften nicht mit. Wilma hatte sofort angefangen zu heulen und laut in ihr Taschentuch g e schneuzt. »Jetzt hab ick mich a n derthalb Stunden für den Fortschritt frisiert, und dann is allet umsonst!« Sie sollte sich öfter mal für den Fortschritt kämmen, dachte ich, denn die Frisur stand ihr wir k lich gut. Zu Hause sah sie immer aus wie ein alter Handfeger und kam wegen der Spargelbeete nie mit zur Demonstr a tion. Aber ein Erster Mai in Moskau – das war einfach schick! Und dann so was.
    Großvater war verstummt. Er tat mir unendlich leid, wie er da an der Abspe r rung stand und den Demonstranten nachsah. Ich faßte ihn an der Hand. »Na komm, von oben haben wir sowieso den besten Überblick.« Wir fuhren wieder hoch in den vie r zehnten Stock und sahen vier Stunden lang andäc h tig aus dem Fenster, bis der Festakt vorbei war. Nachmittags gingen wir Eis essen. Mo s kauer Eis war wie der Moskauer Erste Mai was ganz Besonderes. Großmutter beklecke r te von oben bis unten ihr schönes Kleid. Sie hatte keine Übung im Eisessen, in Berlin aß sie nie welches.

 
    Außer Gefecht
     
    Er war absolut unber e chenbar und schaffte es in zwei Komma fünf Sekunden von Null auf Hundert. Es war immer dasselbe. Erst schrie er, dann stampfte er mit den Füßen und fuchtelte mit den Armen rum – ein erwachsener Mann! Sein Gehabe war l ä cherlich. Lächerlich und schrecklich zugleich. Dabei gab es keinen Grund, so auszurasten. Wir bemühten uns ständig, ihm alles recht zu machen. Selbst Großmutter mit ihrem Dickschädel gab sich Mühe und widersprach so selten wie möglich. Nur wenn Gustav was suchte und ihr die Schuld gab, reagierte sie alle r gisch und wehrte sich. »Ick hab dein Kruppzeug nich inne Pfoten jehabt!« Sie sagte immerzu Krup p zeug. Als ich sie fragte, was das sei, erklärte sie mir: »Dit kommt von ›Thyssen und Krupp‹. Die ham Bomben jebaut. Aber jenützt hamse uns nüscht, verloren ham wa den Krieg.« Dann korrigierte sie sich. »Gott sei Dank ham wa ihn verloren!« Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, daß sie nicht mehr im »Bund Deutscher Mädel« war, sondern mit einem Kommunisten ve r heiratet.
    Wenn Großmutter nicht zu Hause war, wurde ich von Großvater attackiert. Einmal hatte ich heimlich in seinem Schreibtisch gestöbert. Er war aus Pre ß spanholz und hatte die Ausmaße eines Konzertflügels. Vier Erwachsene konnten ihn nicht von der Stelle rücken. Natürlich war das Ding, wie auch der daz u gehörige Stuhl, handmade by Gustav. Der Stuhl hatte ein ausgesägtes Herzchen in der Rückenlehne, genau wie unsere Küchenstühle. Die Bauernk ü che, bestehend aus Tisch, Eckbank und vier Stühlen, war aus echtem Holz und ebenfalls Marke E i genbau.
    Die rechte Tür von Großvaters Schreibtisch ließ sich nur mit Hilfe eines kle i nen Tricks öffnen. Dahinter versteckte er seine Wertsachen, zu denen ein schwarzer Pel i kantuschkasten gehörte. Den Trick hatte ich längst durchschaut. Durch Außenwand und Tür des Geheimfachs war ein wi n ziges Loch gebohrt, in dem ein Nagel steckte. Man brauchte ihn nur rausz u ziehen, dann ging die Tür auf. Ich schnappte mir den Tuschkasten und verschwand damit in meinem Zi m mer. Die Farbkästchen feuchtete ich mit Spucke an, Pinsel und Schmierpapier lagen schon bereit.
    Als ich den Schlüssel in der Haustür hörte, schob ich den Tuschkasten schnell zurück ins Fach und steckte den Nagel wieder in das Loch. Dann setzte ich mich im Wohnzimmer auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Gro ß vater marschierte geradewegs zu seinem Schreibtisch und ließ pr ü fend den Blick über die Tischplatte schweifen. War alles in Ordnung, gönnte er sich ein Bonbon. Die s mal aber öffnete er das Fach mit den Wertsachen. Ich thronte noch

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