Drei Irre Unterm Flachdach
GEHÖRT SICH NICHT!!!«
Gustav war außer sich. Er schlotterte, als er aufstand, um unter dem Tisch seinen Löffel zu suchen. Das Küchenhandtuch war aus dem Kragen gerutscht und lag zwischen den Knochen auf dem Fußboden. Ich hatte alles ve r dorben.
Verzweifelt stierte ich in meine Suppe. Der Appetit war mir vergangen. Natü r lich würde ich es niemandem sagen, was dieser Irre hier abzog. Es würde sowieso keiner glauben. Denn nur wenn wir beide allein waren, hat er so gefressen.
Nach dem Geflügelmassaker fing Großvater an, die Küche aufzuräumen. Er sammelte die Knochen ein und rieb mit dem A b waschlappen die Fettflecken von den Möbeln. Er nahm sogar den Eimer und wischte die ganze Küche einmal durch. Wenn Gro ß mutter nach Hause kam, war alles wieder tiptop. Immerhin!
Isoliert
Als ich sieben war, kam ich mit Verdacht auf Ruhr ins Krankenhaus. Isolierstation, das Wort hatte sich in angs t vollen Näc h ten in mein Hirn eingebrannt. Es bedeutete, daß man keinen Besuch bekommen durfte. Einzige Verbindung zur A u ßenwelt war eine Glasscheibe in der Zellentür. Drei W o chen sollten meine Qualen dauern.
Am Ta g der Einlieferung machte ich Großvater eine Szene. Ich behauptete, ich würde sterben, wenn man mich einsperrte, und trat gegen die Sperrhol z schränke mit den goldenen Griffen. Am Zipfel seines Staubmantels zerrte ich ihn wieder ins Haus zurück. Der Saum war schon ganz zerknautscht. »Ruuuhig, Je n ni, ganz ruuuhig! Alles wird guuut!« Er streichelte meinen Kopf und redete auf mich ein wie auf ein krankes Pferd. »Nichts wird gut«, schrie ich, »ich werde sterben!« In den Pausen, die ich zum Luftholen brauchte, saugte ich gierig seinen Eukaly p tusatem ein.
Dann lief ich wimmernd neben ihm her und umklammerte seine Hand. Wir gingen zum Bahnhof, stiegen in die S-Bahn, fuhren ins Krankenhaus.
Die Empfangsschwester wartete schon. Sie guckte böse und klopfte mit einem Stift auf der Tischplatte rum. Großvater gab mir einen Kuß auf die Wange und drückte mir einen Schweizer Kräuterzucker in die Hand. »Den ißt du nicht, ve r standen? Leg ihn unters Kopfkissen, und wenn dein Bett g e macht wird, steck ihn in die Ritze, damit sie ihn nicht finden!« Er zwinkerte mir zu, dann verschwand er. Am Ende des langen Kranke n hausflures sah er sich nochmals um. Ich war verzweifelt. Ich hatte gedacht, daß er ble i ben, etwas tun, mich in letzter Minute retten würde. Er hatte es doch versprochen! Alles wird gut, hatte er gesagt.
Nun war er einfach abgehauen, hatte mich allein gelassen. Auf dem pißgelb getünchten Gang, wo es nach Desinfektion s mittel, Kräutertee und Graupensuppe roch. Ich ließ mich auf den Boden fallen, aber die Schwester packte mich am Kragen und stellte mich wieder hin. Kurz darauf lag ich in der Zelle.
Gleich am ersten Abend kam das Grauen persönlich an mein Bett. Es war die Nachtschwester. Ihr ungeheures Raffgebiß übertraf bei weitem das von Gro ß mutter. Die Riesenzähne beugten sich zu mir runter und lasen die »Sieben Gei ß lein« vor. Dabei klafften Zahnreihen so weit auseinander, daß ich das Gaumenzäpfchen sehen konnte. Die Stimme der Schwester schepperte wie altes Blechg e schirr. »Mein Opa kann das viel besser! Er macht es au s wendig und vertauscht immer die Anfangsbuchstaben der Wörter.« Aber das Gebiß hörte nicht. Es rasselte die »Sieben Gei ß lein« bis zum Ende runter.
Ich konnte nicht einschlafen und dachte an Großvater. In Wahrheit machte es mich rasend, wenn er die Buchstaben ve r tauschte und ein Märchen so anfing: »Wehschnittchen und die zwieben Serge«. In der Nacht träumte ich von Monstern mit ries i gen, vorstehenden Zähnen, denen zitternde Gaumenzäpfchen aus ihren kahlen Köpfen wuchsen.
Ich hatte beschlossen, Essen und Trinken zu verweigern. Den ganzen Tag lag ich mit dem Gesicht zur Wand im Bett. Dann klop f te Großvater an die Scheibe, er weinte. Ich konnte das nicht mit a n sehen und drehte ich mich sofort wieder um. Mein Kopfkissen wurde feucht, weil ich auch heulte. Es war besser, wenn er das nicht merkte. Täglich spielte sich das gleiche ab. Er klopfte, ich drehte mich zu ihm um und wieder zur Wand. Wir konnten einander nicht ansehen. Seine Bes u che waren der dramatische Höh e punkt des Tages.
Nach einer Woche hörte ich Großvaters Stimme auf dem Krankenhausflur. Sie donnerte. Zum ersten Mal seit meiner Einlieferung zuckte ich zusammen. Ein Zeichen dafür, daß ich noch lebte. Von draußen drangen Wortfetzen in
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