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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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meine Zelle: »Enkeltochter – wird sterben – abgemagert – Gefängnis – eigene Verantwortung – Elefant – Dach geschissen – ja, Verantwo r tung!!!«
    Einen Augenblick war es draußen still, dann flog meine Zellentür auf. Gu s tav rauschte rein und hob mich aus dem Bett: »Nach Hause! Komm, wir gehen nach Hause! Hier mußt du nicht länger bleiben. Am Ende stirbst du mir noch!« Ich bekam Angst um ihn. Gleich würden sie ihn abholen. Sie würden ihn auf eine Isolierstation für durchgedrehte Großväter bringen oder in die Irre n anstalt. Ich würde ihn nur noch durch ein kleines Glasfenster in der Tür sehen können.
    Aber nichts dergleichen passierte. Wenig später trug er mich die Treppe ru n ter, und ich sog seinen Eukalyptusatem ein. Wir sahen uns lange an. »Opa, du bist ja wir k lich toll!«
    Zu Hause spielte er für mich Krankenschwester. Dreimal täglich schwebte er im Bademantel an mein Bett und klapperte mit der Pillendose wie mit einer Schachtel Trockenfutter. Er band sich Großmutters alte Schwesternschürze aus dem Lazarett um und kochte mir Birnensuppe mit Griesklümpchen. Abends gab es zwei Gutenachtgeschichten statt einer oder einen Krimi im Fernsehen. Zum Krimig u cken baute er mir mein Federbett wie einen Thron auf dem Sofa auf.
    Kranksein war schön. Auch ich schwebte, denn es war so friedlich zu Hause wie noch nie. Alle zwei Tage sah der Hau s arzt nach mir und staunte, wie schnell sich mein Zustand ve r besserte. Nach zwei Wochen war ich g e sund.
    Die Lazarettschürze verschwand, wo sie hergekommen war, in Gro ß mutters Wäscheschrank, und die Pillendose landete im Müll. Der Waffenstil l stand war aufgehoben. Wir schwebten nicht mehr, der Alltag war zurückgekehrt.

 
    Die Kartause
     
    Die meisten Leute, die Großvater kannten, b e haupten, er war ein kluger Mann. Mich beeindruckte schon mit fünf das große Büche r regal in seinem Zimmer. Er hatte zweifellos mehr Bücher als and e re Leute, eine richtige Sammlung, aber die Frage war, was er eigentlich damit machte. Er las nä m lich nicht. Nie saß er mit einem Buch in der Hand gemütlich im Sessel. Er war nicht gemütlich. Er war ungemütlich. Gro ß mutter las manchmal, nur hätten wir für sie kein Bücherregal gebraucht, weil sie immer dasselbe las. Hedwig Courths-Mahler oder Siegfried Lenz. Aus »So zärtlich war Suleyken« konnte sie ganze Passagen ziti e ren.
    Die einzigen Bücher, für die Großvater sich interessierte, waren ein Ball a denbuch und das »Kommunistische Manifest«. Wenn es nicht au f geschlagen auf seinem Schreibtisch lag, trug er es mit sich rum wie eine T a schenpostille. Es war ständig in Gebrauch. Das Balladenbuch holte er zu Weihnachten vor, um Heili g abend daraus vorzutragen. Auf den vierzig Bänden Lenin, die o r dentlich nach Nummern sortiert in der untersten Reihe des Regals standen, lag eine dicke Staubschicht.
    Sobald ich lesen konnte, wanderte ich vor den Büchern auf und ab, entzifferte die Namen der Schriftsteller und strich mit dem Finger über die ledernen G e samtausgaben von Goethe, Schiller und Shakespeare.
    Die Buchrücken waren golden bedruckt. Großvater hatte die Bücher zur Zie r de angeschafft, so wie andere Leute sich Zimmerpflanzen kauften. Ein Bücherr e gal sah noch schöner aus, machte Eindruck und war vor allem pflegeleicht. Pfl e geleichter als die Fingeraralie aus Bulgarien, mit der Gro ß mutter sich seit Jahren quälte. Das wertvolle Gewächs durfte auf keinen Fall ein- gehen. Großvater wu ß te, als Bildungsbürger hatte man Bücher, keine überflüssigen Topfpflanzen. Goethe statt Gerbera, lautete sein Motto.
    Ein Buch in Großvaters Bibliothek gefiel mir b e sonders. Es hieß »Die Kartause von Parma« und war von Stendhal. Daß der Verfasser keinen Vornamen hatte, machte das Buch gehei m nisvoll. Es konnte genausogut eine Frau geschrieben haben. Auch unter dem Wort Kartause konnte man sich allerhand vorstellen. Eine Kutsche, ein Kellergewölbe oder eine alte Schla m pe. So was wie Großmutter zum Beispiel.
    Die Bibel, die Großvater zwischen Marx’ und Engels’ p o litischen Schriften und den vierzig Lenin-Bänden plaziert hatte, war nicht zu übersehen. Es war eine Ausg a be von 1905, schwarz und sperrig, mit schwerem Deckel, in den ein Kreuz geprägt war. So eine Ri e senbibel hatte ich schon mal in der Kirche gesehen. Da hatte sie der Pastor benutzt, um die Gläubigen zu beeindrucken. Doch Großvater war Kommunist. Er hielt keine Reden in der Ki r che. Er

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