Drei Irre Unterm Flachdach
Oper, für alle Wes t ler Freikarten.
Ob Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Silvester, Geburtstag, Hochzeit oder J u gendweihe, bei uns war immer was los. Wir feierten rauschende Feste mit Tan z musik, Erdbeerbowle, Lampions und Wunde r kerzen. Großmutter tanzte Schieber und Twist und bewarf die Gäste mit Papierschlangen. An wackeligen Gartent i schen wurde diskutiert, wer besser lebte und welches System das schönere sei, der Kapitalismus oder der real existierende Sozialismus. Von den Westverwan d ten, so fing es schon mal an, hatte niemand ein zweitausendfunfhundert Quadratmeter großes Grundstück mit Seerosenteich und Ki n derplanschbecken. Und mit bowleverschle i ertem Blick auf unsere dicke Trauerweide lallten die Tanten und Onkel: »Ihr habt zwar einen großen Garten, aber wir dürfen dafür reisen!« Diese B e hauptung setzte Gustav lässig außer Kraft: »Was wollt ihr denn, wir können doch auch reisen. Wir dü r fen in die Sowjetunion, nach Ungarn, Polen, in die Tschechoslowakei, da gibt es so viel zu sehen, dafür reicht ein ganzes Me n schenleben nicht aus. Und überhaupt, Völkerfreun d schaft kennt ihr im Westen ja nicht. Die ganze Welt kommt doch in die DDR, da muß ich nicht überall hinfa h ren! Und wenn der Sozialismus erst mal g e siegt hat, dann können wir, wenn es unbedingt sein muß, auch nach Sp a nien!«
Bevor Mutter, die b e ruflich nach Indonesien durfte, ihre Reise antrat, schärfte Großvater ihr ein: »Püppchen, du schreibst allen Westverwandten eine A n sichtskarte, die sollen sehen, daß wir auch in den Westen können!« Er wollte damit seine These ausschmücken, daß der Sozialismus deutlich auf dem Vo r marsch war und schon kurz vor Spanien stand. »Die Heimat ist weit, doch wir sind bereit! Wir kämpfen und siegen für dich, Fraiiihait!« sang er zu Püppchens Abschied vor sich hin.
Arbeitslosigkeit im Westen, niedrige Mieten im Osten, Waren und Preise, kein Thema wurde ausgelassen. Großvater fand die sozialistischen Einheitspreise praktisch, weil man nicht durch die Gegend rennen müsse, um irgendwo was billiger zu ergattern. Die Westverwandtschaft protzte, dr ü ben gebe es dafür alles, alles, aber auch alles! Worauf Gustav in die Runde posaunte: »Ich brauche im Januar keine Erdbeeren! Der Mensch soll essen, was die Natur zur jeweiligen Jahreszeit he r vorbringt!«
Bis frühmorgens wurde getanzt und politisiert. Leider endeten die fröhlichen Feste meist mit einem furchtbaren Streit. Großvaters Geschrei, begleitet von Faustschlägen auf die Tischplatte, machte unsere Familientreffen zu unve r geßlichen Erei g nissen.
Besonders dramatisch war es, wenn Onkel Egon aus dem Osten, der durch seine Ingenieurstätigkeit in der Mongolei zum Trinker geworden war, auf Gro ß vaters Schwester Annemarie aus Delmenhorst traf. Sie versorgte uns mit Dim m schaltern und elektrischen Steckverbindungen. Wir nannten sie Tante Elektra.
Tante Elektra war stolz auf die kapitalistischen Erru n genschaften im Bereich der Elektrotechnik. Verständliche r weise, wie ich fand, denn die Dimmschalter waren meine Leidenschaft. Tante Annemarie alias Elektra hatte zwei Söhne, die Zwillingsbrüder Völker und Walter. Völker war Inhaber eines Elektrofach- und Zubehörladens in Edemissen Schwülper. Von da brachte Tante Elektra für Gro ß vater neben Dimmschaltern und Steckverbindungen auch glänzende Wasse r hähne mit. So lange, bis unser ganzes Haus mit Armaturen von Grohe au s gestattet war.
Den Mongolei-Onkel brachte das auf die Palme, er fühlte sich ungerecht b e handelt. Die Mongolei, in der er angeblich dauernd warmes Affenhirn essen mußte, hatte ihn fast um den Verstand g e bracht. Viel mehr noch ärgerte den Onkel, daß es in der DDR keine Misc h batterien und glänzenden Wasserhähne gab. Und der Gipfel aller Schlechtigkeit war, daß Tante Elektra gerade ihm, dem Ingenieur, der so ein schweres Leben jenseits der westlichen Elektrotechnik führte, nicht so schöne und nützliche Dinge schenkte.
Der Onkel meinte, meinem Großvater, der sich Kommunist nenne, stünden die modernen elektrischen Geräte aus dem Westen nicht zu und erst recht keine »goldenen Wasserhähne«. Gustav erklärte Egon in aller Ruhe, daß unsre Wa s serhähne nicht golden seien, sondern verchromt. Es wäre gut, sagte er, wenn wir in der DDR schon so weit wären, daß man sich all diese Dinge nicht aus dem Westen mitbringen lassen müsse. »Jeder Mensch hat ein Recht auf Mischbatterien!« Doch der Onkel ließ sich
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