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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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Wir kannten jeden Zaunpfahl, jeden Pflasterstein auf unserm Schulweg. »Das kommt von den N a zis, das ist verboten!« rief ich. Manja zeigte mir einen Vogel. »Bist du doof? Die sind doch alle tot!« Wir überlegten, ob bei uns in Blankenburg vielleicht noch ein letzter Nazi lebte. Wenn es tatsächlich so war, dann konnte der nachts nicht schlafen und ging heimlich Hake n kreuze malen. »Da, noch eins!« Manja zeigte auf Schnurmanns Torpfosten. Als wir an der Schule ankamen, hatten wir dreißig Hake n kreuze gezählt, bei allen war die Farbe noch ganz frisch.
    »Hakenkreuze, überall Hakenkreuze!« Mangold, unser Klassenlehrer, winkte ab. Wir sollten uns nichts draus machen, der Regen würde das Zeug schon ab- waschen. »Aber Hakenkreuze malen ist verboten!« Ich schrie Mangold an, der lachte mich aus. »Meldet es doch. Geht zur Polizei! Die Dinger sind übriggebli e ben, ihr habt sie nur nie gesehen.« Nach der Schule zählten wir die Hakenkreuze noch mal. Mangolds Benehmen war u n verschämt.
    Im Korridor roch es nach Birnensuppe. Großvater hatte für mich gekocht. Beim Essen erzählte ich ihm von unserm Lehrer und den Hakenkreuzen. Er wü r de mich verstehen. Morgen würde er mit in die Schule kommen und Mangold die Meinung geigen. Doch Großvater schwieg. Er ließ die Suppe stehen, zog seinen Staubmantel an und verkünd e te, er müsse einkaufen gehen.
    Anstatt auszurasten, ging er einkaufen, nicht zu fassen! Man konnte nicht auf ihn zählen. Er war wirklich verrückt. Ich schmiß mich auf das Wohnzimmersofa und fixierte die goldenen Pappschnörkel an der Decke. Die Hakenkreuze, Ma n gold, mein antif a schistischer Opa – die ganze Welt war verkehrt!
    Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, drückte Großvater mir einen Pinsel in die Hand. »Komm, Jenni, wir gehen H a kenkreuze übermalen.«
    Ich sprang vor Freude an ihm hoch und küßte seine blassen Wangen ab. N a türlich war Verlaß auf ihn! Er hatte gestern Farbe eingekauft! Ich zog meine alte braune Trainingsjacke mit den gelben Streifen an und hüpfte neben Gro ß vater, der den Farbeimer trug, von Hakenkreuz zu Hakenkreuz. Nach drei Stunden – wir hatten die ganze Zeit schweigend gepinselt – waren wir fertig. Alle Hakenkreuze waren übermalt. Auf me i nem Schulweg gab es jetzt dreißig rote Quadrate zu sehen! Ich war stolz.
    Als wir nach Hause kamen, stand Großmutter am Gartenzaun: »Na, ihr zwei Stromer. Habt ihr fremder Leute Zäune jestrichen?« »Nein, wir waren Hakenkreuze übermalen!« Großmutter zog die Augenbrauen hoch und wischte ihre großen Hä n de, an denen Hackepeter klebte, am Pullover ab. »Ach wat«, sagte sie unglä u big, ließ uns stehen und ging ins Haus.

 
    Westbesuch
     
    Unsere Verwandtschaft ist, sofern sie nicht gestorben ist, gleichmäßig über ganz Deutschland verteilt. Be i de, Gustav und Wilma, hatten Geschwister im Westen, aber Gustav int e ressierte sich nur für seine Familie. Neben Schwester Helene, der Kirchenmaus aus Göttingen, gab es Schwester Annemarie in Delmenhorst. Hal b bruder Hugo war in den fünfziger Jahren von Halberstadt nach Br e men gezogen, und Manfred, der älteste Bruder, der Gustav angeblich damals an die Nazis ve r pfiffen hatte, lebte nach dem Krieg wie Schwester Helene in Göttingen. Von ihm war nie mehr die Rede. Großmutter hatte Bruder Siegfried in Paderborn und Schwester Helma in Bad Salzuflen, außerdem Schwester Emmi in Wes t berlin und Schwester Mimmi in Ostberlin. Die Eltern und Geschwister meines Vaters mitg e rechnet, lebte unsere Verwandtschaft auße r dem auf Usedom, in Greifswald und Güstrow, in Bottrop und Siegen, bei Frankfurt am Main, in Edemi s sen-Schwülper, Pforzheim und Gelsenkirchen. Tante Helma, Großmutters jüngste Schwester aus Bad Salzuflen, hatte den lustigen Spitznamen Hexe. Großmu t ter erzählte viel von ihr, aber ich hatte sie noch nie gesehen. Aus irgendeinem Grund kam sie uns nicht besuchen. Warum, darüber wurde kein Wort verloren.
    In Berlin-Blankenburg fanden viele Familientreffen statt, weil es, gesam t deutsch gesehen, einigermaßen zentral lag. Da wir nicht in den Westen dur f ten, luden wir die Westler zu uns ein und gaben mit unserm Paradiesgarten an. Er war ideal für solche Zusammenkünfte. Auße r dem war Ostberlin immer eine Reise wert. Auf dem Fernsehturm mit dem Drehcafé, Unter den Linden und auf der Museumsinsel war es schließlich auch ganz schön. Und als Bonbon besorgte Püppchen, inzwischen Training s meisterin an der Komischen

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