Drei Irre Unterm Flachdach
nicht umstimmen. Er beschimpfte Großvater als verlogenen Salo n kommunisten.
Sobald das Reizwort Salonkommunist gefallen war, artete der Streit aus. Großvater brüllte: »Du bist doch nur ein neidischer Alkoholiker, der den b e scheidenen Wohlstand anderer Leute nicht ertragen kann! Du mit deinem ve r pfuschten Leben zwischen Affenhirn und Pla t tenbau!« Onkel Egon, den seine entrüstete Gattin bereits vom Cognacglas weggezerrt hatte, lallte: »In die Mong o lleii sollte man dich mal schicken, da kannste froh sein, wenn überhaupt fli e ßend Wasser aus der Wand kommt!« Während der Onkel, dem die Augen vor Wut aus den Höhlen traten, in seinen beigefarbenen Au s gehmantel gestopft wurde, brüllte Großvater weiter: »Wenn dir dein Schei ß neubau zu klein ist, dann bau doch eure dreckige Gartenlaube aus!« Das war u n realistisch, weil man in der DDR keine Gartenla u ben ausbauen durfte. Doch was kümmerte das Gustav, den Salonkommunisten mit der Champignonzucht und den fünfzigtausend lachenden Gä n seblümchen auf zweitausendfünfhundert Quadratmetern Grü n fläche?
Die Verwandtschaft aus Ost und West glotzte betreten auf unsern goldenen Pappstuck und das edle Eichenholzparkett aus dem Westen.
Nur Tante Elektra rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Schuldgefühle plagten sie, wegen des neuen Wasse r hahns, den sie Großvater mitgebracht hatte. Sie hatte vorher gewußt, daß es deshalb wieder Streit mit Onkel Egon g e ben würde. Aber sie liebte nun mal ihren Bruder Gustav und nicht den ve r soffenen Onkel.
Um den Abend zu retten, klopfte Tante Elektra, gelernte Köchin und Betreiberin eines privaten Mittagstisches in Delme n horst, mit der Gabel an ihr Weinglas. Sie zog sich den Rock unterm Hintern glatt und machte ein Gesicht, als wollte sie eine Rede halten. Nach einem ve r stohlenen Seitenblick auf den torkelnden Onkel Egon fragte sie mit gespielter Frö h lichkeit in die Runde: »Was kosten bei euch eigentlich die Ka r toffeln?«
Balladen unterm Sowjetstern
Unser Weihnachtsfest glich einem Boulevardstück. Regie und Hauptrolle: Gustav Voss. Der Weihnachtsbaum war der Haup t bestandteil des Bühnenbildes und mußte unbedingt drei Meter hoch sein. Wenn die Spitze an die Decke im Winte r garten stieß, hatte er die idealen Maße. Schon Wochen vorher jagte Großvater durch die Gegend, um die richtige Tanne zu ergattern. Er war geradezu b e sessen von dem Gedanken, daß Weihnachten nur mit einem drei Meter h o hen Baum stattfinden könne. Eine Zeitlang glaubte ich ihm den Quatsch und betete jeden Tag in der Vorwei h nachtszeit, alles möge gutgehen. Es war schon trostlos genug, daß wir wieder mal nur zu dritt feiern würden, ohne die Eltern. Und schöne Weihnachtsbäume gab es fast nie. Bis an sein Lebense n de konnte Gustav nicht begreifen, wieso unsere Tannen häßlicher und kle i ner waren als die im Westen, denn Nadelwälder und Baumschulen hatten wir nun wirklich genug.
Daß unser Drei-Meter-Baum scheußlich aussehen würde, d a rauf war Verlaß. Immer war er krumm und schief, und überall fehlten Äste. Wie jedes Jahr stand in unserm Wintergarten ein Exemplar der Marke »Waldsterben«, und betreten dachten wir das U n aussprechliche: Warum kann der Baum nicht ei n mal kleiner sein, dafür aber schön?
Gustavs Energie war ungebremst. Schnurstracks marschierte er in unser nahe gelegenes Tannenwäldchen, sägte den schönsten Bäumen die Äste ab und bohrte sie in unsere Tanne hinein. In dieser entscheidenden Arbeitsphase war er absolut nicht ansprechbar. »Jenni, Frauchen, nicht quatschen! Das Bohren erfordert höchste Konzentration!« Außerdem machte es fürchterlichen Krach, und feiner Staub legte sich auf die Möbel im Wintergarten. Es sah aus, als hätten wir Han d werker im Haus. Wir verzogen uns in die Küche und quatschten da weiter. Nebenbei fraßen wir Großmutters selbstgebackene Plät z chen, bis uns schlecht war, aber wir gaben die Hoffnung auf ein friedl i ches Weihnachtsfest nicht auf. Alles hing davon ab, wie unser Baum am Ende aussah.
»Ihr könnt kommen!« Großvater rieb sich die Hände und betrachtete verzückt die neue Tanne. »So einen schönen Baum haben nicht mal die Russen!« triu m phierte er. Und weil nicht mal die Russen so einen schönen Baum hatten, blieb er bis Ostern im Wintergarten stehen. Wir sollten möglichst lange etwas davon h a ben.
Allein das Anbringen der elektrischen Kerzen dauerte eine Ewigkeit. Wir durften nicht helfen beim Schmücken,
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