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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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war wie Ernst Busch, hatte die Mütze in Sachsenhausen manch mal aufgesetzt. Heimlich, nachts, in der Bar a cke. Das hatte er einem Freund meiner Mutter erzählt. Es war ihm g e lungen, die Baskenmütze über die fünf Jahre KZ zu retten.
    Im Sommer 2002 hatte sich Negerin Voss prima eingelebt im Dschungel. I n zwischen hatte ich gute Freunde in München. Sie hatten schlechte Zähne, waren im »Komitee zum Wiederaufbau der KPD« organisiert und arbeiteten verbissen an der Revolution, die, laut ihrer Aussage, schon kurz vor R e gensburg stand. Begeistert lud ich einen der Münc h ner zu einer kleinen Spritztour ein. Wir fuhren mit meinem schicken neuen Cabriolet zum Potsdamer Platz, zu Debis und Co. Ich trug meine Ca b rio-Ledermütze aus den zwanziger Jahren, er eine zerschlissene Lederjacke mit aufgeplat z ten Nähten. Ich parkte falsch inmitten der »Kassel will Weltstadt sein«- Architektur, dann klebten wir Plakate an die nagelneuen Fass a den: »Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent s i cher, und man kann es überall anwenden; zwanzig Prozent, es wird lebhaft; fünfzig Prozent, positiv waghalsig; für hundert Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter se i nen Fuß; dreihundert Prozent, und es existiert kein Verbr e chen, das es nicht begeht, selbst auf die Gefahr des Galgens.«
    Gustav wäre stolz auf mich gewesen. Die Sätze stammten aus Karl Marx’ »K a pital«, und ich glaubte an sie. Trotzdem war das Plakatekleben die einzige revolutionäre Aktion me i nes Lebens, und der Kontakt zu den KPD-Genossen mit den schlechten Zä h nen verebbte auf der A9 zwischen München und Berlin.
    Irgendwie bin ich nun doch angekommen in der neuen Welt mit ihren hunderttausend Duftnoten und Millionen Einsamke i ten. Großvater, der den roten Kommunismus wollte und nach allem schielte, was golden war und glänzte, hätte seine Freude gehabt an all dem Überfluß, und er hätte ihn verabscheut.
    Ich kaufe, kaufe alles, was man käuflich erwerben kann. Ich kaufe nicht eine Hose, sondern drei. Ich kaufe Schmuck von Swarowski in rauhen Mengen. Schließlich müssen die Ohrringe zum Oberteil passen! Ich besitze zehn Sonne n brillen und sechs Wintermäntel. Tischdecken kann man nie genug haben. Schwimmbrillen habe ich neuerdings zwei, gab es eine günstig bei Tchibo. Tch i bo ist sowieso gut, da findet man immer was, das man gerade nicht braucht. Ich kaufe Wurst für sechs Personen statt für zwei und bin auf der Suche nach einer dritten Butterdose. Überhaupt, Küchengeräte sind geil! Eierschneider, Messersets, Kaffeeschaumquirle, P ü rierstäbe, Gurkenhobel, Saftpressen – Elektrizität plus Südfrucht ist gleich Ko m munismus! Gemüs e schäler aller Art könnte ich täglich kaufen. Ich kaufrausche durchs Leben und ve r achte mich dafür.
    Großvater, der den goldenen Pappstuck an unserer Decke liebte, hätte Großmutter, Mutter und mich mit Swarowski-Schmuck überschüttet. Wir hätten g e glitzert wie drei Wei h nachtsbäume. Es hätte ihm gefallen! Vielleicht hätte er sich ja gar nicht erschossen! Immerhin soll er gesagt haben: »Man hätte die Mauer nie bauen dürfen, ein Volk kann man nicht teilen.« Vielleicht wäre er, nach dem ersten Schreck, durch sämtliche Baumärkte Berlins gedüst und hätte alles an Nägeln, Schrauben, Hämmern und Bohrern, an Dichtungen, Verkleidungen, Farben und Pasten, Sägen, St ä ben, Rohren, Pappen und Ösen in einen großen Sack gesteckt. Wie würde unser Haus heute aussehen? Großvater hätte sich ausgetobt in seinem Amibu n galow. Wie ein Wilder hätte er mit all dem neuen Kram ru m hantiert. Er hätte endlich sein lang ersehntes Rende z vous mit Black & Decker gehabt. Aus unserm selbstgebastelten Hol z gartenzaun wäre ein wuchtiger schmiedeeise r ner geworden, an Scheußlichkeit nicht zu überbieten. Und aus dem ewig undic h ten Flachdach wäre »unter großen Opfern und mit Aufbietung der ganzen verfügbaren Kraft im steten Kampf zur Abwendung der verschieden s ten Unzulänglichkeiten« ein Spitzdach geworden. Nein, ich glaube, Großvater hätte sich nicht erscho s sen.

 
    Großmutter stirbt
     
    »Ick brauch ein neuet Fahrrad! Die olle Scheese fährt nich mehr!« Sie stand im Korridor und stampfte mit dem Fuß auf. Ich hatte Großmutter noch nie so depr i miert gesehen. Wo war das Problem? Wenn das Fahrrad kaputt war, kaufte man eben ein

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