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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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gaffte uns an. »Lassen Sie mal, das ist schon richtig so«, sagte Püppchen, woraufhin die Schwester wor t los verschwand.
    Wir hatten mehrere Stunden gesungen, als der Takt, den Großmutter una b lässig mit dem Daumen geschlagen hatte, schwächer wurde, bis ihre Hand leblos und warm in meiner lag. Sie seufzte, als würde sie träumen, und starb.

 
    Püppchens Angst oder
»Lesen Sie das bitte ganz in Ruhe!«
     
    »Püppchen war allein zu Haus / Die Eltern waren beide aus/Als sie nun durch das Zimmer sprang/mit leichtem Mut und Sing und Sang/Da sah sie plötzlich vor sich stehn/Ein Feuerzeug, nett anz u sehn/Ei, sprach sie, ei, wie schön und fein / Das muß ein trefflich Spielzeug sein/Ich zünde mir ein Hölzchen an/Wie’s oft die Mutter hat getan.«
     
    Dann ging in der Stali n straße 174 in Schwerin, der Wohnung von Wilma, Gustav und Püppchen, der Weihnachtsbaum in Flammen auf. Es war 1958, am ersten Feiertag nach Heiligabend, und Püp p chen wieder mal allein zu Haus, während Gustav und Wilma als Geheime Informanten der Staatss i cherheit und in deren Auftrag durch Hamburg-Altona schlichen. Mit sieben Koffern voller sozi a listischem Propagandamaterial bewaffnet, schleppten sie sich in konspirativem A b stand voneinander durch die Straßen, nur noch durch »Augenspiel«, wie Großvater es später in seinem Reiseb e richt nannte, in Verbindung. Sie brachten die Koffer zum Ko n taktmann, machten sich auf die Rückreise und wurden an der Grenze aus dem Zug geholt. Während der Kontrolle hatte Großmutter den Fahrschein gegessen, der als einziges B e weisstück gegen sie hätte verwendet werden können. Trotzdem wurden die beiden in ein Hamburger Polizeirevier gebracht und nach mehreren Verhören inklusive Leibesvisitation für eine Nacht in Unte r suchungshaft genommen.
    Zur selben Zeit zündete Püppchen in Schwerin eine Wu n derkerze an und hängte sie an den Wei h nachtsbaum. Gegen die Angst und gegen die Einsamkeit. Während sich die beiden Geheimen Informanten der Staatssiche r heit, Wilma und Gustav Voss, mit Klopfzeichen durch die Zellenwand über die Höhe von Gustavs VdN-Rente verständigten, hüpfte Püppchen um den Baum herum und brüllte: »Fröhöliche Weihnacht überall«. Zwei Minuten später brannte die Bude lichte r loh. Wilma und Gustav ahnten davon nichts in ihrer Hamburger Zelle.
    Am nächsten Morgen ging die Reise weiter, zurück nach Schwerin. Den be i den Informanten der Staatssicherheit konnte keine verfassungswidrige Tätigkeit nachgewiesen werden. Es war ein Glück, daß Großmutter die Fahrkarte aufg e fressen hatte.
    Über diesen und ähnliche Vorfälle wurde später niemals gesprochen. Ich kannte nur die Geschichte von der ausg e brannten Wohnung, denn die wurde oft erzählt. Angeblich war Großvater an dem Abend im Theater und Großmutter beim Nachtdienst. Daß Oma und Opa in geheimer Mission unterwegs waren, als Jane und James Bond des Ostens, für Frieden, Freiheit und Sozialismus, ve r schwieg man mir.
    Nun weiß ich es. Ich weiß es aus der Akte. Ich wollte wissen, warum Großv a ter nach Kriegsende noch mal gesessen hatte, von 1947 bis 1948, im Unters u chungsgefängnis Demmlerplatz in Schwerin, verurteilt von der sowjetischen Militäradminis t ration. Ich ve r stand es nicht. Er hatte doch genug gesessen, und er war doch Kommunist! In der Familie gab es nur Gerüchte. Wegen Sp i onage für die CIA, sagten die einen, weil er eins seiner Hörspiele beim RIAS, dem Feindsender, unterbringen wollte, sagten die ändern. In einem Punkt aber war sich die Verwandtschaft einig: Aus dem Russe n knast entlassen wurde Gustav nur, weil Wilma einmal in der Woche vor dem großen Tor gestanden hatte. Meine damals eineinhalbjährige Mutter im Arm, hatte sie unter Tr ä nen immer wieder die beiden einzigen russischen Worte aufgesagt, die sie kannte: »Malenkaja dewotschka!« – »Kleines Mädchen!« Dank Gro ß mutters Penetranz war Großvater nicht in Sibirien gelandet, sondern vorze i tig nach Hause entlassen worden. Für Kinder hatten die Russen ein Herz, schon immer.
    Im Archiv am Demmlerplatz existiert keine Akte mehr über Gustav Voss, aber man riet mir, einen Antrag zu stellen. Im Februar 2006 reichte ich bei der Bundesbeauftra g ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einen Nachforschungsa n trag zur Klärung des Schicksals von Gustav Voss als Person der Zeitgeschichte ein. Laut Au s sage der Behörde war er infolge

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