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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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Hause aus« machten. Das Tütentragen war dem Westmann dank der bunde s deutschen Emanzipationsbewegung gründlich ausgetri e ben worden.
    Wieder hatte ich mir einen neuen Westkontakt versaut, weil ich am Ende e i nes langen Abends Hugo, einen Anwalt aus Mannheim, ein »Mannheimer Würstchen« g e nannt hatte. Zwanghaft verglich ich alle diese Würstchentypen mit Großvater. Trotz seiner Macken war er ein richtiger Mann gewesen. Er war charmant, diskret, hö f lich, liebte die Frauen – ganz Kavalier der alten Schule. Kurz – das Gegenteil von einem Würstchen. Gustav, der coole Eukalyptusmann! Je lä n ger er tot war, desto schöner, klüger, männlicher wurde er für mich. Ich, mit einem Mannheimer Würstchen im Schlepptau in Bla n kenburg – das hätte er nicht geduldet.
    Auch Wilma hielt nach der langen Zeit mit Gustav nicht viel von Würstchen und Weicheiern. Bis zum Schluß auf der Suche nach einem neuen Mann, blieb sie wählerisch. Die Handvoll Wes t rentner, mit denen sie tanzen oder auf Butterfah r ten ging, reduzierte sie mühelos auf zwei Sätze: »Noch keene siebzig, ham allet und ja m mern rum. Ick will doch keen Pflegefall!« Mir riet sie, ich solle endlich mal was Vernünftiges anbringen, einen mit »Hinte r land« und bißchen »Knete«. »Deine Mutter hat dit och immer falsch jemacht!« Mich interessierte weder »Hi n terland« noch »Knete«.
    Ich lebte konsumverachtend. Im Humana Second Hand am Alex kaufte ich mir ein schwarzes Kleid für zehn DM, Größe zweiundvierzig, viel zu weit. Ich ließ es offen und trug es als Mantel. Im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Wi n ter, fünf Jahre lang. Als die fünf Jahre um waren, war ich noch trauriger gewo r den, und meine Haut juckte. Sie juckte von den billigen Rollkragenpullovern vom Wühltisch bei Woolworth. Ich zog sie unter dem Kleidmantel an. Es kam nur mit Rollkragen in Fr a ge – die Pullover waren meine Schutzhülle, meine Sicherheit, mein Panzer. Nun attackierten mich meine Panzer – ich kratzte mich halb tot.
    Die Hautärztin sah sich die roten Flecken auf meinem Oberkörper an. »Na, das sieht aber gar nicht gut aus, da wollen wir mal gleich einen Aidstest m a chen!« Aidstest, das Wort schlug ein wie eine Bombe. Dieses Scheiß-Virus hatten wir auch dem We s ten zu verdanken. Ich kriegte Panik – aber da war nichts. Das »Mannheimer Würstchen« kon n te mich nicht infiziert haben, soviel stand fest.

 
    Allet Luschen außer Justav
     
    Unmittelbar nach der Wende drehte Großmutter völlig durch. Plötzlich gab es keinen DFD mehr und kein FDJ-Studienjahr. Alles, was das Leben lebenswert gemacht hatte, war über Nacht verschwunden. Es mußte dringend Ersatz her. Die PDS-Ortsgruppenversammlungen waren eine gute Sache, aber sie fanden viel zu selten statt. Nur einmal im Monat ein feuchtfröhliches Vergnügen in so finsteren Zeiten, das reichte hinten und vo r ne nicht. Und wenn man sich gesellschaftlich nicht mehr engagi e ren konnte – sie war ja nun auch keine Kreisvorsitzende mehr –, dann machte man eben Butterfahrten. Eine willkommene Abwechslung. Wilma, die die Wende schrecklich fand und den Kapitalismus ein Schweinesystem nannte, g e wöhnte sich schnell an das überbordende Warenangebot. Sie wurde zur begeisterten A n hängerin von Schnäppchen und Ramschartikeln. Im Grunde genommen benahm sie sich wie jeder andere frei herumlaufende Ostrentner. Außerdem war man auf den Butte r fahrten unter Leuten und Wilma noch immer auf der Suche nach einem neuen Mann. Es sollte möglichst einer aus dem Westen sein, mit »bißchen Schmott, wo jetzt allet teurer is«. Dieser Typus war auf den PDS-Versammlungen in Berlin-Blankenburg natürlich nicht ve r treten.
    Von den Butterfahrten brachte Großmutter Unmengen Koc h töpfe, Bratpfannen, Lamadecken und einmal sogar ein Saue r stoffgerät von Manfred von Ardenne mit, nie aber einen Westmann mit »Schmott«. Statt dessen warf sie ihre kleine Rente Monat für Monat aus den großen Fenstern der Re i sebusse hinaus, bis wir uns vor Gesundheitsd e cken und überflüssigen Küchengeräten nicht mehr retten konnten.
    Wir schickten Wilma in »Clärchens Ballhaus« zum Tanz. Dort lernte sie zwar den einen oder andern Galan kennen, aber keiner kam ernsthaft in Frage. »Allet Luschen außer Justav«, sagte Großmutter und winkte ab. »Für ’ne Butterfahrt reicht’s, mehr is nich drinne!« Kurzzeitig hatte sie erwogen, einfach Herrn Do n ner von gegenüber zu nehmen. Seine Frau war schon lange tot,

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