Drei Irre Unterm Flachdach
der Inhaftierung durch ein sowjetisches Militärgericht nach seiner Entlassung vermutlich von der Staatssicherheit be o bachtet worden. Natürlich, wenn die G e schichte mit dem Hörspiel und dem RIAS stimmte, dann war Großvater ein sa u gefährlicher Mann!
Im Sommer 2006 fuhr ich zur Bundesbehörde, um die Akte »Gustav Voss« in Empfang zu nehmen. Im Foyer sah es aus wie in der DDR. Überall in Behörden, Kantinen, Aufenthaltsräumen, Wartezimmern und Klubgaststätten hatten d a mals ähnliche Möbel gestanden. Tische mit hellgrauen Kunststoffplatten, in die ein Parallelogramm mit Strich in der Mitte und daneben »S i mone hat die größte!« oder »I love you, Ralfi!« geritzt waren, und Stühle mit roten und grünen Synthetikbezügen voller Bran d löcher und dunkler Flecken. Unsere Möbel hatten i r gendwie gelebt, und jetzt lebten sie immer noch und standen in der Bundesb e hörde. Sicher war das Mobiliar zur Abschreckung übernommen worden, ich aber dachte an meine erste Disko im Kulturhaus »Ottomar Geschke« und an Großmu t ter, weil es nach Kartoffeln und brauner Soße roch, wie früher im DFD.
Der Beamte, ein junger, untersetzter Mann mit Barocklocken und frisch polierten Zähnen, überreichte mir feierlich den »Vo r gang Gustav Voss«. Er sprach besänftigend, und ich war irgendwie froh, daß er Locken hatte und keine glatten Haare mit Gel drin. Bevor er mir die Akte überließ, sagte er mehrmals: »Lesen Sie das bitte ganz in Ruhe, Frau Voss!« Klar, ich wollte ja wissen, was drin stand in der achtzig Seiten starken Akte. Doch dann begann ich mich zu gruseln. Wer weiß, was da drin stand! Es konnte auch ganz anders gewesen sein. Gro ß vater ein Verbrecher, ein Mörder, ein Spitzel! Vielleicht hatte er sogar die Familie au s gehorcht. Ich sah auf die glänzenden Zähne des Bundesbarockengels. »Operativ, ve r wanzt, abgefangen«, hörte ich ihn sagen und immer wieder den Satz »Lesen Sie das bitte ganz in Ruhe!« Und dann erklärte er mir: »Ihr Großvater und auch Ihre Großmutter wurden verdächtigt, für den Verfa s sungsschutz zu arbeiten.« Doppelagenten! Meine Fre s se!
Die Schweriner Wohnung war komplett verwanzt, sämtliche Briefe waren abgefangen worden. Allerdings wurde die Übe r wachung nach vier Jahren aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Für oder gegen wen war Großvater denn nun gewesen? Oder besser, wer oder was war er nicht gewesen? Als Kommunist von den Nazis verfolgt und inhaftiert, war er in der DDR Geheimer Informant der Staatssicherheit g e worden und von dieser verdächtigt, für den BND zu arbeiten.
Vertrauliche Dienstsache! OPERATIV – 284/61. Es gab Großvater nicht nur in meiner Eri n nerung, sondern auch als operativen Vorgang und immer wieder als Nummer. Im KZ als 26004, später als 284/61. Armer Gustav. Was war ein Leben gegen eine Akte? Die Akte war g e blieben – ich hielt sie in der Hand. »Das in der Akte genannte Referat O war für die akustische Überwachung (Einbau von Wa n zen in der Wohnung) verantwortlich. Alle Informationen dieses Referates stammen daher aus a b gehörten Gesprächen und dürfen gemäß §§ 32-34 StUG (»schwere Menschenrechtsverletzung«) nicht herausgegeben we r den. Ebenso verhält es sich mit den vorhandenen abgefangenen Briefen.« Nun gab es ihn schon als Akte, und ich würde doch nicht alles erfahren. Wahrscheinlich auch nicht, warum er verdäc h tigt worden war, für den BND zu arbeiten. Pech, oder auch Glück.
Was ich dann las, war irritierend, läppisch, verworren. Achtzig Seiten lang Verdächtigungen, Mutmaßungen, Anschu l digungen und Reiseberichte. Die Re i seberichte der beiden GI Wilma und Gustav Voss. Großmutter hatte flott notiert: »Um 12.36 Uhr sind wir von Schwerin abgefahren ... Nachdem wir die Grenze überfahren haben, setzten wir uns in den Speisewagen, hier fand auch die Pas s kontrolle statt. Wir sind dann kurz vor Ha m burg wieder ins Abteil zurückgekehrt, und ich habe mich auf unsere Koffer gesetzt, und hier kam nochmals ein Bea m ter der Bundesbahn durch. In Hamburg-Altona sind wir ausgestiegen und sofort zum Ausgang gegangen ... Von der Haltestelle Re e perbahn, wo wir au s gestiegen sind, hatten wir gut noch eine halbe Stunde zu laufen ...« Großv a ter hingegen hatte die Berichte als literarische He r ausforderung angesehen: »Die vier Koffer hatten wir im mittleren Teil des Zuges unter anderen Koffern an den Türen abgestellt. In Büchen ging ich austreten, d.h. ich kontrollierte unauffällig, daß
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