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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Hunger, von der Arbeitslosigkeit, sich immer weiter steigernd, die Zuhörer mitreißend, bis er in einem Furioso herausschmetterte: »Das kann nicht so weitergehen! Das muß anders werden!«
     Das Publikum tobte Beifall, es klatschte und schrie, als sei damit schon alles anders geworden. Der Mann oben wartete ab. Sein Gesicht glänzte. Und dann kam es, breit, überzeugend, unwiderstehlich, Versprechen über Versprechen, es regnete nur so Versprechen, ein Paradies erstand über den vielen Köpfen, es wölbte sich zauberhaft bunt, es war eine Lotterie, in der alle Lose Haupttreffer waren und in der jeder sein Privatglück und sein Privatrecht und seine Privatrache fand.
     Ich sah mir die Zuhörer an. Es waren Leute aller Berufe, Buchhalter, kleine Gewerbetreibende, Beamte, eine Anzahl Arbeiter und viele Frauen. Sie saßen jetzt da in dem heißen Saal, zurückgelehnt oder vorgebeugt. Reihe an Reihe, Gesicht neben Gesicht, der Strom der Worte spülte über sie hin, und es war sonderbar: So verschieden sie auch waren, die Gesichter hatten alle den gleichen, abwesenden Ausdruck, einen schläfrig-süchtigen Blick in die Ferne einer nebeligen Fata Morgana, es war Leere darin und zugleich eine übermächtige Erwartung, die alles auslöschte, Kritik, Zweifel, Widersprüche und Fragen, den Alltag, die Gegenwart, die Realität. Der da oben wußte alles – er hatte für jede Frage eine Antwort, für jede Not eine Hilfe. Es war gut, sich ihm anzuvertrauen. Es war gut, jemand zu haben, der für einen dachte. Es war gut, zu glauben.
     Köster stieß mich an. Lenz war nicht da. Er winkte mit dem Kopf nach dem Ausgang. Ich nickte, und wir gingen. Die Saalwachen sahen uns finster und argwöhnisch nach. Im Vorraum stand eine Kapelle, fertig zum Einmarsch in den Saal. Ein Wald von Fahnen und Abzeichen dahinter.
     »Gut gemacht, was?« fragte Köster draußen.
     »Erstklassig. Das kann ich als alter Propagandachef beurteilen.«
     Wir fuhren ein paar Straßen weiter. Dort war die zweite politische Versammlung. Andere Fahnen, andere Uniformen, ein anderer Saal; aber sonst alles ähnlich. Auf den Gesichtern der gleiche Ausdruck von Ungewisser Hoffnung und gläubiger Leere. Ein weißgedeckter Vorstandstisch, quer vor den Stuhlreihen. Daran die Parteisekretäre, der Vorstand, ein paar eifrige alte Jungfern. Der Redner, ein Beamtentyp, war schwächer als der vorige. Er redete Papierdeutsch, er brachte Zahlen, Beweise, es stimmte alles, was er sagte, aber trotzdem überzeugte er weniger als der andere, der überhaupt nichts bewies, sondern nur behauptete. Müde dösten die Parteisekretäre am Vorstandstisch vor sich hin; sie hatten Hunderte solcher Versammlungen hinter sich.
     »Komm«, sagte Köster nach einer Weile. »Hier ist er auch nicht. Habe ich übrigens auch nicht erwartet.«
     Wir fuhren weiter. Die Luft war kalt und frisch nach dem verbrauchten Dunst in den überfüllten Sälen. Der Wagen schoß durch die Straßen. Wir kamen am Kanal vorbei. Die Laternen warfen öliggelbe Reflexe auf das dunkle Wasser, das leise an die betonierten Ufer klatschte. Eine Zille zog schwarz und langsam vorüber. Der Schleppdampfer hatte rote und grüne Signallichter gesetzt. Ein Hund bellte herüber, dann ging ein Mann vor dem Licht her und verschwand in einer Luke, die einen Augenblick golden aufschimmerte. Jenseits des Kanals lagen hell angestrahlt die Häuser des Westens. Ein Brückenbogen schwang sich von ihnen zur anderen Seite hinüber. Ruhelos schoben sich Autos, Omnibusse und elektrische Bahnen darauf hin und her. Er sah aus wie eine funkelnde bunte Schlange über dem trägen schwarzen Wasser.
     »Ich denke, wir lassen den Wagen hier stehen und gehen das letzte Stück zu Fuß«, sagte Köster nach einer Weile. »Ist unauffälliger.«
     Wir hielten Karl unter einer Laterne vor einer Kneipe an. Eine weiße Katze huschte weg, als wir ausstiegen. Ein paar Huren mit Schürzen standen etwas weiter unter einem Torbogen und verstummten, als wir vorübergingen. In einer Hausecke lehnte ein Drehorgelspieler und schlief. Eine alte Frau wühlte in den Abfällen am Straßenrand.
     Wir kamen an eine riesige, schmutzige Mietskaserne mit mehreren Hinterhäusern, Höfen und Durchgängen. Im untersten Stock befanden sich Läden, eine Bäckerei und eine Annahmestelle für Lumpen und altes Eisen. Auf der Straße vor dem ersten Durchgang standen zwei Lastwagen mit Schupos.
     Im ersten Hof war in einer Ecke aus Holzlatten ein Stand aufgebaut, an dem ein

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