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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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gleichgültigen Partien seines Werkes, wie die journalistischen Aufsätze, sind gegossen und geschmolzen in der feurigen Esse seiner Leidenschaft. Nie schafft er mit dem bloß abgelösten, frei wirkenden Teil seiner schaffenden Kraft, gleichsam aus dem Handgelenk, immer ballt er seine ganze physische Erregbarkeit in das Geschehnis, bis an den letzten Nerv seines Lebens leidend und mitleidend in seinen Gestalten. Alle seine Werke sind gleichsam explosiv in rasenden Wetterschlägen durch einen ungeheuren atmosphärischen Druck herausgeschwemmt. Dostojewski kannnicht gestalten ohne inneren Anteil, und für ihn gilt das bekannte Wort über Stendhal: «Lorsqu'il n'avait pas d'émotion, il était sans esprit
    .« Wenn Dostojewski nicht leidenschaftlich war, war er nicht Dichter.
    Aber Leidenschaft in der Kunst wird ebenso zerstörendes Element, als sie bildnerisches war. Sie schafft nur das Chaos der Kräfte, dem der klare Geist erst die ewigen Formen erlöst. Alle Kunst braucht die Unruhe als Antrieb der Gestaltung, aber nicht minder eine überlegen-überlegte Ruhe der Auswägung zu einer Vollendung. Dostojewskis mächtiger, die Wirklichkeit diamanten durchdringender Geist weiß nun wohl um die marmorne, eherne Kühle, die das große Kunstwerk umwittert. Er liebt, er vergöttert die große Architektonik, er entwirft prachtvolle Maße, erhabene Ordnungen des Weltbildes. Aber immer wieder überflutet das leidenschaftliche Gefühl die Fundamente. Vergebens sucht Dostojewski als Künstler objektiv zu schaffen, außen zu bleiben, bloß zu erzählen und zu gestalten, Epiker zu sein, Referent von Geschehnissen, Analytiker der Gefühle. Unwiderstehlich reißt ihn seine Leidenschaft in Leiden und Mitleiden immer wieder in die eigene Welt. Immer ist etwas vom Chaos des Anfangs selbst in den vollendeten Werken Dostojewskis, nie die Harmonie erreicht (»Ich hasse die Harmonie«, so schreit Iwan Karamasow, der Verräter seiner geheimsten Gedanken). Auch hier
    ist zwischen Form und Wille kein Friede, kein Ausgleich, sondern – o ewige Zweiheit seines Wesens, alle Formen durchdringend von der kalten Schale bis zum glühendsten Kern! – ein unablässiger Kampf zwischen außen und innen. Der ewige Dualismus seines Wesens heißt im epischen Werke Kampf zwischen Architektur und Leidenschaft.
    Nie erreicht Dostojewski in seinen Romanen, was man fachmännisch »den epischen Vortrag« nennt, jenes große Geheimnis, bewegtes Geschehen in ruhiger Darstellung zu bändigen, das von Homer bis Gottfried Keller und Tolstoi sich in unendlicher Ahnenreihe von Meister auf Meister vererbt. Leidenschaftlich formt er seine Welt, und nur leidenschaftlich, nur erregt, kann man sie genießen. Wie eine Krankheit erlebt man die Krise seiner Menschen im Blute, wie eine Entzündung brennen die Probleme im aufgepeitschtenGefühl. Mit allen unseren Sinnen taucht er uns in seine brennende Atmosphäre, stößt er uns an den Abgrundrand der Seele, wo wir keuchend stehen, schwindeligen Gefühls, mit abgerissenem Atem. Und erst, wenn unsere Pulse jagen wie die seinen, wir selbst der dämonischen Leidenschaft verfallen sind, erst dann gehört sein Werk ganz uns, gehören wir ihm ganz.
    Es läßt sich nicht verleugnen, nicht verbergen, nicht verschönern: das Verhältnis Dostojewskis zum Leser ist weder ein freundschaftliches noch ein behagliches, sondern eine Zwietracht voll gefährlicher, grausamer, wollüstiger Instinkte. Es ist eine leidenschaftliche Beziehung wie zwischen Mann und Weib, nicht wie bei den andern Dichtern ein Verhältnis der Freundschaft und des Vertrauens. Dickens oder Gottfried Keller, seine Zeitgenossen, führen mit sanfter Überredung, mit musikalischer Lockung den Leser in ihre Welt, sie plaudern ihn freundlich ins Geschehnis hinein. Er, der Leidenschaftliche, will uns ganz haben, nicht bloß unsere Neugier, unser Interesse, er begehrt unsere ganze Seele, selbst unsere Körperlichkeit. Zuerst lädt er die innere Atmosphäre mit Elektrizität, raffiniert steigert er unsere Reizbarkeit. Eine Art Hypnose setzt ein, ein Willensverlust in seinen leidenschaftlichen Willen: wie das dumpfe Murmeln des Beschwörenden, endlos und sinnlos umtut er den Sinn mit breiten Gesprächen, reizt mit Geheimnis und Andeutungen die Anteilnahme bis tief nach innen. Er duldet nicht, daß wir zu früh uns hingeben, er dehnt in wollüstigem Wissen die Marter der Vorbereitung, Unruhe beginnt in einem leise zu kochen, aber immer wieder verzögert er, neue Figuren

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