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Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

Titel: Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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vorschiebend, neue Bilder entrollend, den Einblick in das Geschehnis. Ein wissender, ein wollüstiger Erotiker, hält er unsere Hingebung mit teuflischer Willenskraft zurück und steigert damit den inneren Druck, die Gereiztheit der Atmosphäre. (Wie lange dauert es in Raskolnikow, ehe man weiß, daß all diese sinnlosen seelischen Zustände Vorbereitungen zu seinem Morde sind, und doch spürt man längst in den Nerven Furchtbares voraus!) Aber Dostojewskis sinnliche Wollüstigkeit berauscht sich im Raffinement der Verzögerung, sie prickelt wie Nadelstiche kleine Andeutungen in die Haut des Empfindens.Mit satanischer Verlangsamung stellt Dostojewski vor seine großen Szenen noch Seiten und Seiten mystischer und dämonischer Langweile, bis er in dem Reizmenschen (ein anderer fühlt ja nichts von diesen Dingen) ein geistiges Fieber, eine physische Qual erzeugt. Erst dann, wenn im überheizten Kessel der Brust das Gefühl schon brodelt und die Wände sprengen will, dann erst schlägt er einem mit dem Hammer auf das Herz, dann zuckt eine jener sublimen Sekunden nieder, da wie ein Blitz die Erlösung aus dem Himmel seines Werkes in die Tiefe unserer Herzen fährt. Erst wenn die Spannung unerträglich geworden ist, zerreißt Dostojewski das epische Geheimnis und löst das zerspannte Gefühl in weiche, flutende, tränenfeuchte Empfindung.
    So feindlich, so wollüstig, so raffiniert leidenschaftlich umstellt, umfaßt Dostojewski seine Leser. Nicht im Ringkampf zwingt er sie nieder, sondern wie ein Mörder, der stundenlang und stundenlang sein Opfer umkreist, durchstößt er einem dann plötzlich mit einer spitzen Sekunde das Herz. Seine Technik ist eine explosive: er höhlt nicht kärrnerhaft, Schaufel um Schaufel, die Straße in sein Werk hinein, sondern von innen herauf mit einer ins kleinste geballten Kraft sprengt er die Welt auf und die erlöste Brust. Ganz unterirdisch sind seine Vorbereitungen, gleichsam eine Verschwörung, eine blitzartige Überraschung für den Leser. Nie weiß man, obwohl man fühlt, daß man einer Katastrophe entgegengeht, in welchen Menschen er die Stollen seiner Minengänge eingräbt, von welcher Seite, in welcher Stunde die furchtbare Entladung erfolgt. Von jedem einzelnen führt ein Schacht in den Mittelpunkt des Geschehens, jeder einzelne ist geladen mit dem Zündstoff der Leidenschaft. Wer aber den Kontakt zündet (zum Beispiel, wer von den vielen, die alle innerlich von dem Gedanken vergiftet sind, den Fedor Karamasow tötet), das ist mit einer unerhörten Kunst verborgen bis zum letzten Augenblick, denn Dostojewski, der alles ahnen läßt, verrät nichts von seinem Geheimnis. Man fühlt nur immer das Schicksal wie einen Maulwurf unter der Fläche des Lebens wühlen, fühlt, wie sich bis hart unter unser Herz die Mine vorschiebt, und vergeht, verzehrt sich in unendlicherSpannung bis zu den kleinen Sekunden, die wie ein Blitz die Schwüle der Atmosphäre zerschneiden.
    Für diese kleinen Sekunden, für die unerhörte Konzentration des Zustandes benötigt der Epiker Dostojewski eine bisher ungekannte Wucht und Breite der Darstellung. Nur eine monumentale Kunst kann solch eine Intensität, eine solche Konzentration erzielen, nur eine Kunst urweltlicher Größe und mythischer Wucht. Hier ist Breite nicht Geschwätzigkeit, sondern Architektur: wie für die Spitzen der Pyramiden riesige Fundamente, sind für die spitzen Höhepunkte bei Dostojewski die gewaltigen Dimensionen seiner Romane notwendig. Und wirklich, wie die Wolga, der Dnjepr, die großen Ströme seiner Heimat, rollen diese Romane dahin. Etwas Stromhaftes ist ihnen allen zu eigen, langsam wogend rollen sie ungeheure Mengen des Lebens heran. Auf ihren tausenden und tausenden Seiten schwemmen sie, gelegentlich die Ufer des künstlerischen Gestaltens übertretend, viel politisches Geröll und polemisches Gestein mit sich fort. Manchmal, wo die Inspiration nachläßt, haben sie auch breite, sandige Stellen. Schon scheinen sie zu versiegen. In stockendem Lauf winden sich mühsam durch Krümmungen und Wirrungen die Geschehnisse weiter, die Flut stagniert an den Sandbänken der Gespräche für Stunden, bis sie wieder dann die eigene Tiefe und den Schwung ihrer Leidenschaft findet.
    Aber dann, in der Nähe des Meeres, der Unendlichkeit, kommen plötzlich jene unerhörten Stellen der Stromschnelle, wo sich die breite Erzählung zum Wirbel zusammenballt, die Seiten gleichsam fliegen, das Tempo beängstigend wird, die Seele mitgerissen in den

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