Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Das ist nur logisch. Vietnamflüchtlinge galten als Opfer des Kommunismus. Nur damit Sie die Zusammenhänge sehen.«
Er unterbrach sich und schien sich jetzt erst zu erinnern, worüber er eigentlich mit ihr sprechen wollte. »Meinen Sie, Ihr Vater wäre bereit, eine Aussage zu machen?«
»Was für eine Aussage?«
»Über das Verhör damals in Gander. Für meine amerikanischen Kollegen wären diese Informationen sehr wertvoll.«
Sie überlegte nicht lange. »Niemals. Er wird alles leugnen.«
Kannenberg kam auf einen anderen Punkt zu sprechen.
»Ich wollte noch einmal auf Frau Alsina zurückkommen.«
Giulietta nickte stumm, schloss dann aber eine Frage an. »Diese Nachforschungen. Ihre Klage. Was soll das alles nützen?«
»Wir wollen erreichen, dass in den bekannten und dokumentierten Fällen Strafverfahren wegen Mordes eröffnet werden. So wie es andere Staaten längst getan haben. Schweden, Spanien, Frankreich. Was die argentinischen Opfer betrifft, so sind wir machtlos. Das Amnestiegesetz schützt die Täter. Aber die Verbrechen gegen deutsche Staatsbürger sind nicht verjährt. Und indirekt hilft es auch den argentinischen Opfern, wenn wir von außen wenigstens für unsere Leute Gerechtigkeit fordern. Und für die Zukunft. Die Schurkenstaaten, mit denen wir Handel treiben, werden ja nicht weniger.«
Sie wollte mehr wissen, aber Kannenberg kehrte zu Frau Alsina zurück. Sie verstand diese Wendung des Gesprächs zunächst nicht.
»Ich frage mich, wie Frau Alsina Sie gefunden hat«, sagte er.
»Durch Ortmann. Er hat sie benachrichtigt, nachdem ich ihn besucht hatte.«
»Eben. Das ist sehr unwahrscheinlich.«
»Aber Frau Alsina hat es mir selbst gesagt.«
»Hat sie das?«
Giulietta überlegte. Sie erinnerte sich nicht genau. Die Begegnung in diesem Hotel war eigenartig genug.
»Ich glaube jedenfalls.«
»Warum hätte er das tun sollen?«
»Ich … ich weiß es nicht.«
»Eben. Er hatte überhaupt keinen Grund dazu. Gerade jemand wie Ortmann, der genau weiß, wer Fernando Alsina ist. Hat er Sie nicht eher vor der Familie gewarnt?«
Ortmann war ihr so rätselhaft erschienen. Nichts an dem Mann war klar gewesen.
»Das ist schon möglich. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
»Frau Alsina hat Sie in Ihrem Hotel aufgesucht. Also stellt sich die Frage, wie Frau Alsina wissen konnte, dass Sie überhaupt in Buenos Aires waren, nicht wahr? Ortmann scheidet meiner Meinung nach als Informant aus. Woher hatte sie also Ihre Hoteladresse?«
Giulietta beschlich ein unangenehmes Gefühl. Wie viele Wendungen sollte diese Geschichte noch nehmen?
»Was wollte Frau Alsina von Ihnen?«, fragte der Anwalt jetzt.
»Sie suchte Damián.«
»Erinnern Sie sich, was sie sonst noch gesagt hat?«
»Nein. Aber warten Sie … jetzt erinnere ich mich. Mein Vater hat von Berlin aus mit den Alsinas Kontakt aufgenommen. Vielleicht hat er … aber nein, das kann auch nicht sein.«
»Was kann nicht sein?«
»Ich meine, meine Eltern wussten ja auch nicht, in welchem Hotel ich war.«
»Wissen Sie, wann sich Ihr Vater mit der Familie in Verbindung gesetzt hat?«
»Ja. Am Samstag nach meiner Abreise. Ich bin am 26. November nach Zürich geflogen. Das war ein Freitag. Und am Samstag weiter nach Buenos Aires.«
»Und wann sind Sie angekommen?«
»Am Sonntagmorgen, dem 28. November.«
Kannenberg schrieb sich das Datum auf, bevor er die nächste Frage anschloss.
»Hatten Sie den Eindruck, dass Ihnen in Buenos Aires jemand gefolgt ist?«
»… wieso … wie kommen Sie darauf?«
»Es stimmt also? Sie wurden verfolgt?«
Sie dachte an die verschiedenen Orte dieser unheimlichen Begegnungen. Am Flughafen. In der Confitería Ideal … selbst dort oben, in der Nähe der ESMA .
»… ich glaube ja. Aber woher wissen Sie …«
»Ich weiß nichts Genaues. Noch nicht, Frau Battin. Ich versuche nur, einen logischen Ablauf der Vorgänge zu rekonstruieren. Wer ist Ihnen gefolgt?«
»Ein Mann.«
»Immer der gleiche Mann?«
Ihr schauderte bei dem Gedanken, dass es ja durchaus mehrere gewesen sein konnten. Andere, von denen sie keine Notiz genommen hatte. Sie hatte das verdrängt. Der Schock über Damiáns Unfall überschattete ihre ganzen Erinnerungen.
»Ich habe nur einen bemerkt.«
»Können Sie diesen Mann beschreiben?«
»Groß, stämmig gebaut. Kurzrasiertes, dunkelbraunes Kopfhaar. Eckige Gesichtszüge. Schmale, eng stehende Augen.«
»Würden Sie den Mann wieder erkennen?«
»Ich denke schon.«
Kannenberg notierte.
»Wo
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