Drei Wunder (German Edition)
Häusern aus wie aus einem Pop-up-Buch. Es sah absolut phantastisch aus, doch Olivia konnte den Blick nicht von ihrer Schwester wenden.
»Hast du auch nur die geringste Ahnung, welches Glück du hast, hier wohnen zu dürfen?«, fragte Violet und schüttelte noch eine Zigarette aus dem Päckchen, das sie aus ihrer Tasche geholt hatte.
Olivia starrte weiter auf das Profil ihrer Schwester. Violet. Violet war zurück. Violet saß genau neben ihr. Sie sah vielleicht ein wenig blasser aus und auch ein wenig schmaler – Olivia bemerkte einen Strang von blauen Venen, die sich in den Innenseiten der Handgelenke ihrer Schwester abzeichneten. Aber abgesehen davon, war es die gleiche alte Violet. Das gleiche wilde, rotblonde Haar, die gleichen strahlenden Augen.
Sie trug ihre knielangen Jeans, die sie sich selbst abgeschnitten hatte, weil die Hose zwar oben perfekt gepasst hatte, aber an den Knöcheln ein paar Zentimeter zu kurz gewesen war. Und das apfelgrüne Spitzenhemdchen, das sie im Sommer immer getragen hatte.
Es waren genau die Sachen, die Violet angehabt hatte, als Olivia sie das letzte Mal gesehen hatte, damals an jenem Abend am Strand …
»Was ist los?«, fragte Violet und inhalierte tief, nachdem sie die Zigarette angezündet hatte.
Olivia schüttelte stumm den Kopf. Wenn sie anfing, Fragen zu stellen, würde das bedeuten, dass sie anfing es zu glauben. Es würde bedeuten, dass sie akzeptierte, dass das hier tatsächlich passierte.
»Du glaubst es immer noch nicht, oder?«
Olivias Blick schoss hoch zum Gesicht ihrer Schwester.
Violet lächelte und stieß Olivia in die Seite. »Schau nicht so entsetzt!«, rief sie aus. »Es ist ja nicht so, als hätten wir nicht gegenseitig unsere Gedanken lesen können, als ich noch lebte. Warum sollte es jetzt anders sein?«
Olivia kaute auf den Innenseiten ihrer Unterlippe. Violet … oder der Geist von Violet … oder die von Drogen herrührende Erscheinung, die ganz wie Violet aussah … Wer immer sie war, sie hatte recht. »Aber«, sagte Olivia leise, »wie?«
Violet zuckte mit den Schultern. »Spielt das eine Rolle?«, fragte sie und warf ihrer Schwester ein schelmisches Lächeln zu.
Olivia verdrehte die Augen. Violet war kaum eine Stunde zurück und fing schon wieder an, schwierig zu sein. »Irgendwie schon«, zischte Olivia. »Ich meine, du gehst schlafen, und deine Schwester ist tot. Du wachst auf, und sie sitzt auf deinem Balkon und raucht. Das ist nicht gerade der normale Lauf der Dinge.«
Violet nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und schnippte die Asche zwischen die abblätternden Stangen des Eisengeländers. »Tja«, sagte sie, »du weißt, was ich von Normalität halte.«
Ohne nachzudenken, streckte Olivia die Hand aus und pflückte die Zigarette aus dem Mund ihrer Schwester. »Stimmt«, sagte sie und warf die Kippe über den Balkon nach unten. »Und du weißt, wie ich übers Rauchen denke.«
Violet sah mit großen Augen, wie die Zigarette auf den Gehsteig unter ihnen segelte.
»Okay«, erwiderte sie patzig. »Aber du brauchst mich nicht so anzustänkern. Es ist ja nicht, als wäre irgendwas davon meine Entscheidung gewesen.«
» Wessen dann?!«, wollte Olivia wissen, ihre Stimme war plötzlich laut und rau.
»Scht.« Violet zuckte zusammen. »Nur weil ich ein Geist bin, heißt das noch lange nicht, dass die Leute dich nicht hören können.«
» Wessen dann?«, wiederholte Olivia flüsternd. »Wessen Entscheidung war es? Wie bist du hierher zurückgekommen? Und wo warst du? Und … was um Himmels willen ist hier los?«
Violet sah lange und intensiv in die Augen ihrer Schwester, bevor sie mit ihrem typischen albernen Grinsen und einem weiteren Schulterzucken reagierte.
Olivia stöhnte auf, ein vertrautes Gefühl von Genervtheit machte sich langsam in ihr breit. Es war ein Gefühl, so vertraut und alt wie sie selbst, und eines, das normalerweise in dem überwältigenden Wunsch endete, Violet zu packen und sie heftig zu schütteln.
Und jetzt, dachte Olivia, und das versetzte ihr einen Stich bis ins Herz, jetzt könnte sie genau das tun.
Sie streckte beide Hände aus und legte sie sanft rechts und links auf Violets Schultern.
Sie fühlten sich an wie Violets Schultern.
Olivia legte ihre Hände nun fest um die Arme ihrer Schwester, auf die kleinen Wölbungen ihres Trizeps, die bei ihnen beiden genau gleich gewesen waren, und die sich jetzt unter ihren Fingerspitzen wie Blindenschrift anfühlten, und schüttelte sie.
Violets Kopf wackelte
Weitere Kostenlose Bücher