Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Welt.«
Leonie zuckt die Achseln. Sie hat keine Lust, sich provozieren zu lassen. »Ich hatte schon gedacht«, bemerkt sie, »das Haus, in dem du wohnst, hast du dir von deiner Gage finanziert.«
»Kein Gedanke«, erwidert Felice trocken. »Ich heimse zwar Bewunderung ein noch und noch, wie du sicher bemerkt haben wirst, aber die Gagen an der berühmten Burg sind knapp. Es ist mehr die Ehre, du verstehst. Der Ruhm, in dem ich mich sonne, wie du siehst. Nein, das Haus, das hab ich netterweise geerbt, mit allem Drum und Dran, nachdem mein Gatte vor ein paar Jahren starb und mir sehr zum Ärger der anderen Hinterbliebenen sein Stadtpalais vermachte. Aber leider nicht das nötige Geld dazu, es zu unterhalten. Das Geld erbten andere. – Ach, hast du noch Hunger?«
Leonie hat nämlich zu dem Korb gegriffen und sich die letzte Scheibe geröstetes Brot genommen. »Wenn ich das gegessen habe, nicht mehr«, erwidert sie diplomatisch.
Die Schauspielerin unterdrückt ein Lächeln. »Gut. Dann also zum Plan. Morgen Vormittag habe ich Zeit. Da wirst du mir vorspielen, und wir entscheiden dann, welche Rolle wir erarbeiten. Was hast du zuletzt gelernt?«
»Die Julia«, erwidert Leonie tapfer. Sie hätte ja auch zunächst etwas angeben können, was sie nicht so berührt, eine x-beliebige Liebesgeschichte, aber nicht ihre Liebesgeschichte. Aber nun will sie doch wissen, was diese Frau dazu meint. Vom Schauspielern versteht sie ja was.
»Na, kleine Brötchen bäckst du gerade nicht«, sagt Felice und verzieht den Mund. »Pass nur auf, dass du dich nicht übernimmst.
Warum nicht gleich das Gretchen aus Goethes ›Faust‹? Also gut, die Julia. Ich sehe mir das an. Und am Wochenende auf die Nacht zum Sonntag gebe ich eine Soiree. Das ist ein Jour fixe, ein fester Termin bei mir. Meist einmal im Monat. Da wirst du teilnehmen. Hast du was zum Anziehen?«
Sie mustert ihr Gegenüber.
Leonie schluckt.
Das grüne Seidenkleid. In dem sie in Berlin mit Schlomo zum Tanz gegangen ist ...
Sie beide auf der Tanzfläche. Der Foxtrott. Der Shimmy. Dann der Blues.
Eng beieinander, Hüfte an Hüfte, sie hat den Kopf an seiner Schulter...
»Ich möchte dich jetzt küssen und küssen und küssen«, flüstert er an ihrem Ohr .
Ihr ist schwindlig vor Sehnsucht.
Dann der Tango. Drehen, Innehalten, Sich-in-die-Augen-Starren. Körper an Körper. Glück der Nähe –
Sie kann daran denken, ohne dass es wehtut ...
»Ja, hab ich«, sagt sie.
Sie hat es nicht herausgeholt heute Abend, dies Seidenkleid. Sie hat einfach eine weiße Leinenbluse und einen dunklen Rock angezogen. Aber ein Kleid ist keine Reliquie. Sie hat es im Gepäck und wird es wieder tragen.
»Gut«, erwidert die andere. »Sonst müsstest du dir was kaufen. An Mitteln wird’s dir ja nicht mangeln. Überhaupt nimm dir ein bisschen Zeit, sieh dir Wien an. Werd erst einmal heimisch. Ist mit deinem Quartier alles in Ordnung? Ich war seit Jahr und Tag nicht mehr in diesem Anbau.«
»Ja, danke«, sagt Leonie. »Bis auf eins. Ich hab keinen Schlüssel zum Haupthaus. Muss ich da immer erst klingeln?«
Felice Lascari beguckt sie, während sie ihre zweite Zigarette ausdrückt. Es dauert einen Moment, bis sie etwas sagt. »Die Tür ist immer offen«, bemerkt sie schließlich, »du brauchst keinen Schlüssel. Allerdings wäre es mir lieb, dass du dich bemerkbar machst, wenndu kommst, und nicht gleich so frank und frei hereinspazierst. Die Frau Pfleiderer ist angehalten, dir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Dann gibt’s noch den Joseph, der uns kutschiert – falls du Lust hast auf eine Ausfahrt. Musst es aber vorher ansagen. Gäule stehen nicht herum in meinem Stadtpalais. Im Sommer besorgt der Joseph den Garten, im Winter heizt er das Haus. Wir haben noch zwei Stubenmädel und ab und zu zwei Zugehfrauen fürs Grobe. Alle sind angewiesen, dich aufs Feinste zu behandeln.« (Keine Köchin also, denkt Leonie. Und offenbar wird es als ein Fauxpas angesehen, allein im Haus herumzuspazieren ... Erschwerend.)
»Ist der junge Mann dein Sekretär?«, fragt sie geradezu.
Felice legt erneut den Kopf schief. Ihre Augen funkeln belustigt. »Rofrano?« Sie gibt dem Namen beim Aussprechen einen gewissen Klang und Schwung, fast als wäre es ein Singsang. Und plötzlich weiß Leonie, woher sie das kennt. Aus einer Oper! »Der Rosenkavalier« von Richard Strauss – eine bittersüße Dreiecksgeschichte. Ein junger Mann, Oktavian, lebt insgeheim mit einer älteren Frau, der Marschallin, und
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