Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Teller, nicht größer als Untertassen.
Das ist alles.
Leonie blinzelt.
Die Familie Laskarow in Berlin entwickelte nach der Vorstellung stets einen Wolfshunger, tat sich an Kaviar und Austern, an Lachspastete und gerösteter Leber in Riesenportionen gütlich und krönte die ganze Sache mit jeder Menge Süßigkeiten. Stellt dies Häppchen das komplette Abendmahl der Dame dar? Sie selbst, Leonie, hat übrigens auch seit ihrer Zugfahrt nichts mehr in den Magen bekommen ...
Ihre Tante, die nun also ihre »Cousine« ist, drückt die Zigarette aus und tut ihr dann von der grauen Masse etwas auf den Teller: »Du magst doch Hirn mit Ei?«
Hirn mit Ei? Sind das die österreichischen Reste der berühmten Lasker’schen Küche, in einem Kaffeehaus nachts nach der Vorstellung Hirn mit Ei zu essen? Trostlos.
Im Augenblick ist ihr das aber wirklich egal. Sie hat zu viel Hun - ger. Also nickt sie und schaufelt das Essen in sich hinein, während Felice nur in ihrer kaum halb so großen Portion herum stochert, sie beobachtet und währenddessen drei Tassen Tee trinkt. Dann muss sie sich wieder die Lippen mit dem Stift nachziehen.
Mal sehen, wie sich das Gespräch weiterentwickelt.
Wie sich herausstellt, unerfreulich.
Kaum hat sie den letzten Bissen im Mund, sagt Felice Lascari: »Du wirst bald feststellen, dass meine Zeit begrenzt ist. Unsereins ist halt sehr gefragt in Wien. Eine Schauspielerin von der Burg – das ist so etwas wie eine Institution. Man wird zu Bällen und Wohltätigkeitsveranstaltungen geladen, Berühmtheiten von überall her lechzen danach, bei mir Visite machen zu dürfen. Also richte dich darauf ein, dass ich mich nur sehr unregelmäßig mit dir beschäftigen kann.«
Leonie sieht sie verwirrt an. Dann platzt sie heraus: »Aber Gaston bezahlt dich doch für die Stunden ...« Und merkt, dass sie blutrot wird. Das war nun wirklich ziemlich plump.
Die Dame sieht sie an, als hätte sie sich verhört. »Natürlich«, erwidert sie mit einem Lachen. »Das wäre ja noch schöner.« Siespielt mit ihrem Teelöffel. Und dann: »Was für einen Grund hat der alte Kriegsgewinnler eigentlich, dich zu protegieren?« Es klingt höhnisch.
»Wen meinst du damit?«, fragt Leonie verwirrt.
»Den Mann meiner Tante natürlich, diesen Monsieur Lecomte.«
Leonie schnappt nach Luft. Gaston, der gütige, einsichtsvolle, großzügige alte Mann – ein Kriegsgewinnler? »Aber das ist doch Unsinn!«, protestiert sie aufgebracht. »Während des Kriegs hat Gaston bestimmt keine krummen Geschäfte gemacht ... er ist ein sehr alter Mann, weit über siebzig, und ... «
Felice zuckt die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Weiß nur, dass mein Vater ziemlich auf ihn geschimpft hat. Gemeint ist übrigens auch nicht dieser Krieg, Kindchen, sondern der vor fast fünfundfünfzig Jahren, 1870. Nun ja, vielleicht ist dieser Gaston ja ein Kriegsgewinnler und Menschenfreund zugleich. So etwas soll es geben. Übrigens hatte ich auch einmal eine Einladung auf dieses Schloss. Die Sache kam aber nicht zustande, eben weil dieser Krieg ausbrach, der letzte. Gott sei Dank, damals musste ich mir von niemandem mehr eine Ausbildung finanzieren lassen. Ich war versorgt.«
Schön, denkt Leonie. Aber wenn du wüsstest, was eigentlich hinter dieser Einladung gesteckt hat ... und warum ich hier bin ...
Die Bemerkung über Gaston sitzt wie ein Widerhaken in ihr. Aber sie bemüht sich, weiterzu»plaudern«.
»Wolltest du immer schon Schauspielerin werden?«, fragt sie.
Felice zündet sich eine weitere Zigarette an. »Selbstverständlich«, sagt sie hochfahrend. »Was denkst denn du? Bloß, ein armes Mädchen hat schlechte Karten, auf eine gute Schule zu gehen oder einen Lehrer zu finden.«
»Aber hat dein Vater nicht in der Türkei ein Handelshaus gegründet, bevor er dann nach Wien zurückging?«, fragt Leonie irritiert.
Die Schauspielerin hält den Kopf schief und runzelt die Brauen, als würde sie einem Klang von irgendwoher nachlauschen, es fehlt wenig und sie hält sich die Hand ans Ohr.
»Ein Handelshaus?«, wiederholt sie. »Interessant. Dichtung und Wahrheit. Vielleicht kläre ich dich später mal auf, aber ein Handelshaus war es ganz gewiss nicht.« Sie lacht auf. »Ich musste einen anderen Weg wählen, um zur Bühne zu kommen. Ich habe mich heiraten lassen.« Sie sieht die andere herausfordernd an. »Ich habe einen alten reichen Mann genommen«, sagt sie, jedes Wort betonend. »Auch wenn es dich vielleicht erstaunt: Das ist der Lauf der
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