Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
verliebt sich im Verlauf des Stücks in eine Jüngere ... Sie schnappt nach Luft. Jetzt versteht sie. Ihre Cousine spielt ein Spiel mit diesem jungen Mann. Ein Wienerisches Stück! Sie ist die Marschallin und er gibt den jüngeren Liebhaber!
Sie mustert die Schauspielerin. Aber wenn sie dreißig ist, wie Gaston behauptet – da ist der Altersunterschied doch gar nicht so groß. Er mit Anfang Zwanzig ...
Immerhin. Endlich hat ihre Tante, die ihre Cousine sein will, es geschafft, sie zu verblüffen. Da lebt die große Lascari also wirklich und wahrhaftig mit diesem jungen Kerl zusammen, der offenbar nichts weiter kann, als auf dem Sofa zu liegen? Da kann man sich nur wundern.
»Der Oktavian im ›Rosenkavalier‹ heißt doch mit Nachnamen Rofrano!«, sagt sie vorsichtig. »Ist das nur so ein ... Ein Spielname?«
Felice lächelt spöttisch. »Schön, wenn man auf einen gebildeten Menschen trifft!«, sagt sie. »Aber umgekehrt wird’s ein Schuh! Erheißt nicht nach der Oper, sondern die Oper heißt nach ihm, beziehungsweise nach seiner Familie. Als der Herr Textdichter so um 1910 seine Verse geschmiedet hat, die dann vertont wurden, da hat er dem jungen Mann in seinem Stück den Namen einer alten Wiener Adelsfamilie gegeben. Rofrano eben. Da die Rofranos arm wie Kirchenmäuse waren, ließen sie sich dafür bezahlen, dass mit ihrem Namen herumgespielt wurde. Das Geld war bald alle, aber der Letzte seines Stammes, Anton, tritt nun in die Fußstapfen der Kunstfigur. Wir spielen etwas nach, er und ich, verstehst du? Und natürlich wird die Marschallin, die ich dabei darstelle, die Bichette, am Schluss nicht zurücktreten und resignieren. Da verändern wir die Spielvorlage.«
Sie mustert ihr Gegenüber herausfordernd. Leonie sieht ihr an, dass sie sich fragt: Ob die Kleine das wohl schluckt, dass ich ein Verhältnis mit dem Jungen habe?
Sie sagt nichts, nickt nur.
Felice schnippt mit den Fingern und sogleich ist der kahlköpfige Kellner zur Stelle – hat er hinter dem Paravent gelauscht? – und sie lässt sich die Rechnung präsentieren.
Beim Hinausgehen registriert Leonie wieder den prüfenden Blick Felices in jedem vorhandenen Spiegel. Offenbar kann sie nicht anders. Applaus gibt’s jetzt keinen mehr. Die Leute sind anderweitig beschäftigt.
Schweigend fährt man nebeneinander durch die Nacht zurück. Leonie hat das Gefühl, irgendwie die Erwartungen dieser Frau nicht erfüllt zu haben. Aber wieso eigentlich?
Sie stehen noch einen Augenblick auf dem Kies vor der Freitreppe zum Palais, ein paar Schritte weiter, dann ist Leonie in ihrer »Dependance«. Der Kutscher hat das Gefährt weggebracht. Felice scheint zu zögern. Will sie ihren Gast noch mit hereinbitten? Doch dann sagt sie mit einem Seufzer: »Hörst du das? Riechst du das? Nachtigallen und Flieder. So stellt man sich doch Wien immer vor, oder? So ... gefühlvoll, nicht wahr?« Ihre Stimme trieft vor Ironie. »Mit diesem Bild im Kopf bist du doch sicher hierher- gekommen. Du siehst: Alles, wie es sein muss. Alsdann bis morgen.Servus, ma Cousine. Und träum was Schönes.« Das sagt man eben so. Sie beugt sich vor und haucht Leonie einen unpersönlichen Kuss auf die Wange. Das macht man eben so. Dann eilt sie schnell mit klappernden Absätzen die Treppe hoch, nestelt dabei an ihrem Täschchen. Noch bevor sie die Tür öffnet, hat sie schon wieder den Lippenstift in der Hand.
In ihrem Zimmer reißt Leonie weit die Fenster auf. Nachtigallen hatte sie auf Hermeneau auch schon. Aber zusammen mit Flieder will sie sie nicht verpassen. Dann streift sie die Schuhe von den Füßen, setzt sich aufs Bett und versucht zu ordnen, was sie da heut Abend alles erfahren hat.
Also: Ihre Tante, Verzeihung: »Cousine«, die große Schauspielerin, lebt im Erbe ihres verstorbenen Mannes. Man hat ihr, falls sie das recht verstanden hat, das Stadtpalais vererbt, »mit allem Drum und Dran« – also Möbeln und lebendem Inventar.
Ein Handelshaus Lascari hat es nie gegeben. Bargeld scheint rar zu sein. Deshalb war sie so bereit, sie, Leonie, gegen großzügige Vergütung als Schülerin anzunehmen.
Und: Felice Lascari liebt es nicht, wenn man in ihren Palast hineinspaziert wie von ungefähr, denn dort hält sie sich einen Gefährten besonderer Art.
Die Jüdin Lascari lebt mit einem jungen Geliebten aus (offenbar einstigem) großem Hause, der sich, warum auch immer, die Nägel abkaut.
Knifflig.
Außerdem muss man wohl zusehen, dass man nicht den Hungertod stirbt, denn Essen
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