Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
achselzuckend. »Er läuft mir bloß hinterher.«
»Aber das ...«
»Lass ihn doch!«, sagt er.
»Schlomo, wir müssen etwas tun!«
Er wirft den Kopf in den Nacken. »Nein!«, sagt er mit verächtlich verzogenen Lippen. Dann legt er den Arm um sie. »Duschenju, ich kann nicht. Ich kann nicht immerzu mit gerecktem Hals nach rechts und links Ausschau halten, wie ein Hirsch, wenn der Jäger im Wald ist. Das liegt mir nicht. Lass uns einfach leben. Zum Furchthaben ist das Dasein zu schade.«
Er sieht sie an.
»Wie kann man nur so schwarze Augen haben!«, sagt sie leise. »Um den Ischen den Kopf zu verdrehen, wozu sonst? Aber jetzt hast du das Monopol drauf.«
Er lehnt seine Stirn an ihre. Sie atmet seinen Atem. Es ist alles gut.
Aber die Beklemmung bleibt.
Am nächsten Tag (im Concordia wird der Bühnenaufbau eingerichtet, und auch der Prinzipal muss erst gegen Abend hin) fi ndet sich die Familie einmal wieder in alter Weise zum späten Frühstück in der Küche ein – da klingelt das Telefon.
Für einen Augenblick erstarrt alles vor Schreck, denn das hat es noch nie gegeben. Dieser Apparat war bisher ausschließlich dazu bestimmt, Madames Bestellungen an die Geschäfte zu übermitteln. Angerufen hat noch nie jemand, nicht einmal der Pförtner, der auch nachts aufs Theater aufpasst, falls was passiert ... (Gott soll ab- wen den!) Also vom Theater kann es um diese Zeit keiner sein.
Es klingelt weiter. Jetzt behauptet der Sittich, ebenfalls aufgestört: »Lora ist lieb!«, und flüchtet sich schutzsuchend auf Mames Schulter.
Es klingelt viermal, fünfmal, sechsmal. »Was für ein scheußlicher Krach!«, sagt endlich der Hausherr ärgerlich. »Hört das wohl wieder auf?«
»Ich glaube, das hört nur auf, wenn man ran geht«, erklärt Schlomo, nimmt die Füße vom Stuhl gegenüber, rafft die Falten seines Morgenrocks und begibt sich in den Flur. »Vielleicht ein neues Angebot vom Rundfunk!«, witzelt er noch über die Schulter, hebt ab und meldet sich.
Dann ist da Stille. Nichts als Stille. Es ist eine böse, eine gefährliche Stille, fi ndet Leonie, und sie spürt einen Klumpen im Magen.
Schlomo kommt zurück, geht an den Tisch und gießt sich Kaffee ein. Seine Hand ist ruhig, aber er ist blass, auf eine Art und Weise blass, dass selbst die Lippen ohne Farbe sind.
»Was war denn das, Schloimele?«, fragt Selde Laskarow ängstlich.
Schlomo lacht, es klingt so überzeugend, wie ein Schauspieler nur sein kann. »Gar nichts, Mame. Neuerdings hat so ein Puppchen unsere Telefonnummer herausbekommen. Nur Gesäusel. Hoffentlich bleibt’s bei dem einen Mal.« Er sieht Leonie nicht an.
Nein. Bei dem einen Mal bleibt’s nicht.
In den nächsten Tagen entwickelt sich das komfortable Gerät aus Kupfer und Mahagoni zum Haustyrannen. Es klingelt zu den unmöglichsten Zeiten. Zur Mittagsstunde. Abends, wenn man von der Probe nach Haus kommt. Morgens früh, wenn man im Tiefschlaf liegt. Um Mitternacht.
Jedoch wenn Mendel oder Selde an den Apparat gehen, ist da nichts. Nichts als ein Rauschen, und dann ein Besetztzeichen. Leonie hat schon einmal ein schweres Atmen gehört und schnell aufgelegt. Einzig Schlomo gegenüber lässt sich der Anrufer (oder, wie er immer noch behauptet, die Anruferin) vernehmen. Was gesagt wird, darüber schweigt er. Auch Leonie gegenüber. »Es ist wirklich nichts, Duschenju. Glaub mir. Es ist nur lästig.« Aber jedes Mal sieht er aus, als habe man ihn gerade auf die Folterbank gelegt, und seine Augen sind wie schwarze Tunnel.
Mendel flucht auf die Telefongesellschaft und beantragt eine neue Nummer. Aber bis die erteilt wird, das kann dauern.
Eines Mittags, als es wieder durchdringend klingelt, greift der genervte Hausherr zu Mames großer Küchenschere, die gerade neben den Töpfen mit den Kräutern liegt und sagt entschlossen: »So! Jetzt mache ich dem Ding den Garaus!«
Selde schreit auf und fällt ihrem Mann in den Arm. »Mendele, so was macht man nicht! Das ist ja ... du kannst doch nicht einfach kaputtmachen so teuren Apparat, so Wunder der Technik! Bitte! Denk mal, was es hot gekostet.«
Der Hausherr legt gehorsam die Schere wieder weg. Schlomo geht an den noch immer schrillenden Apparat, hebt ab und legt sofort wieder auf.
»Warum lassen wir nicht einfach den Hörer baumeln?«, schlägt Leonie vor.
Das machen sie dann, aber selbst dies erweist sich als störend, weil man nun ständig das Freizeichen hört, wenn man durch den Flur geht. Das Ding bringt sich sozusagen in
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