Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
ist. Wie die Kollegen. Vor jedem von ihnen stapeln sich Zeitungsausschnitte, Fotos oder Fundstücke: sogenannte Themenvorschläge. Diesmal bittet Chefredakteur Dr. Schade den Klatschreporter Landgraf, einen Platz weiterzurücken, weil er gern neben »seinem besten Mann« sitzen möchte.
Diesen Titel trug einst Kollege Landgraf, doch vor einem halben Jahr ist er Vater geworden und beschäftigt sich seitdem lieber mit Frauenthemen als mit Herrenwitzen, genau wie neunzig Prozent der Männer in dieser Redaktion. Statt sich neugierig grinsend auf Poolpartys herumzutreiben, planschen sie milde lächelnd beim Babyschwimmen und diskutieren danach den besten Weg, dem Kind den Schnuller abzugewöhnen, kontroverser als die Zukunft der europäischen Schuldenstaaten.
Deshalb bin ich neuerdings jener beste Mann: Caspar Hartmann, dreißig Jahre alt, Jungredakteur in Schades »Locals-and-Lifestyle«-Wochenmagazin.
Im Lokalteil.
Leider.
Ich muss die illegalen Tierversuche der örtlichen Kaninchenzüchtervereine zu Zuchterfolgen hochschreiben, die Niederlagen in der zwölften Fußballliga als Formschwächen kaschieren und bei Bezirksversammlungen, die länger dauern und pathetischer inszeniert sind als Wagners »Ring«, gegen den Schlaf ankämpfen. Neulich habe ich ein vierstündiges Interview über Taubenzucht geführt und dabei über meine Ohrstöpsel Musik gehört. Ist gar nicht aufgefallen. Vorgestern musste ich beruflich einen Stadtteil von München besuchen, von dem ich bisher dachte, er läge in Österreich. Heute musste ich das Gedicht einer Leserin redigieren, die seit fünfzig Jahren Abonnentin ist und ihre Freude über das bei uns gedruckte Gewäsch in Versmaß gezwungen hat. Ganz zu schweigen von dem »singenden Bäckermeister« oder den pickligen Strebern von »Jugend forscht«.
Ich hasse meinen Job. Viel lieber hätte ich den vom Kollegen Landgraf: Ich will die Nightlife-Kolumne, das einzig Coole in diesem blöden Piefblatt. Der ganze Familienwahnsinn geht mir nämlich da vorbei, wo die Mehrheit meiner Kollegen Windeln hinklebt. Keine Ahnung, was Menschen ab Ende zwanzig an Babys so süß finden – die sind doch schrumpelig, pupsen ständig und schreien nur rum. Außerdem habe ich auch schon erschreckend hässliche Exemplare gesehen. Ich stehe eher auf Frauen um die zwanzig. Mein Geld gebe ich lieber für Longdrinks und Leckereien aus als für Kuscheltiere und Kitagebühren.
Außerdem wäre die Nightlife-Kolumne eine echte Redakteursstelle. Ich bin nämlich bloß ein freier Jungredakteur, der den Launen des Chefs ausgeliefert ist. Wenn ich keine Aufträge bekomme, verdiene ich nichts.
Die Konferenz zieht an mir vorbei, die ewig gleichen Phrasen: »Lebt der noch?«, »Wenn man das mal weiterspinnt …«, »Da müsste man mal was drüber machen«.
Laaangweilig.
Moderedakteurin Brigitte, die ihren Namen französisch Brischitt aussprechen lässt, echauffiert sich über die »aktuelle Kollektion« von irgendeinem neuen Designer, die »viel zu bequem« aussieht, was sie »absolut untragbar« findet.
Anne Germoser, unsere Betriebsrätin und Redakteurin für Frauenthemen, ballt die Fäuste in den zu langen Ärmeln ihrer sackartigen Strickjacke. Im Gegensatz zu Brischitt beurteilt sie gute Kleidung offensichtlich danach, ob sie einer ordentlichen Kochwäsche standhält. Seit sie Mutter geworden ist, achtet sie sicher auch noch darauf, ob sich erbrochener Babybrei mit einem Klecks Spüli abwaschen lässt und als wie reißfest sich der Saum erweist.
Kollege Landgraf tippt abwesend auf seinem Smartphone herum. Brainstorming macht heute anscheinend jeder für sich. Selbst der Chef wirkt nicht ganz bei der Sache. Wahrscheinlich träumt er immer noch von dem verpatzten Ausflug mit jener unbekannten Geliebten, die bislang jeder hier für ein Hirngespinst hielt – bis das letzte Liebeswochenende mit ihr im Fiasko endete.
Über die Jahre war das Hotel »Zum Wilden Mannle« in den Ötztaler Alpen zu Schades bevorzugtem Liebesnest avanciert. Und dort wollte er auch mit seiner Unbekannten, wahrscheinlich einer sportlichen Witwe um die fünfzig, mal so richtig das wilde Mannle herauslassen. Eine absurde Vorstellung, etwa so abstoßend wie der Gedanke an die eigenen Eltern beim Koitus.
Die Vorfreude auf jenen Ausflug war Schade schon Wochen vor dem Termin anzumerken. Schlüpfrige Altherrenwitze häuften sich ebenso wie fliederfarbene Hemden. Blöderweise lief das Wochenende völlig anders, als es sich Herr Schade erträumt
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