Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
deinen Bandscheibenvorfall. Ich will unseren Job nicht gefährden, bloß weil du hier den starken Mann markieren musst.«
Wieder ein gellender Schrei aus dem hinteren Zimmer, diesmal drängender: »Mamaaa!«
Anne drückt mir die Tasche in die Hand und eilt zurück in Richtung Folterzimmer. »Hol schon mal den Wagen!«, befiehlt sie. Wir müssen dringend klären, wer hier den Harry und wer den Derrick gibt.
Nach dem ganzen Geschrei stehe ich der ersten Begegnung mit meiner zukünftigen Tochter ein wenig skeptisch gegenüber. Dabei muss sie, will man Anne Glauben schenken, »ein wahrer Engel« sein. Von Leonies erstem Pups hat sie geschwärmt, als wäre er ein besonders kluger Gedanke, von den ersten Zähnen, als wären sie die Stigmata des Erlösers, und als Leonie ihre ersten Schritte ging, ist Anne eine Woche lang nur gehüpft. Im Gegensatz zu anderen Müttern hat sie die Kleine aber nie in der Redaktion herumgezeigt – zumindest nicht mir.
Nach dem Tetrisprinzip verstaue ich Leonies Sachen im Kofferraum. Hätte gar nicht gedacht, dass so viel Zeug in einen Mustang passt. Kombis braucht kein Mensch.
Anne kommt heraus, mit einem Kindersitz in der einen Hand und einer katzenkopfförmigen Sonnenblende in der anderen. Ich schaue fragend.
»Für die Fenster zum Anklippen.«
»So was kommt aber nicht in meinen Mustang!«, erkläre ich felsenfest.
»Dann kommt Leonie auch nicht in deinen Mustang«, antwortet Anne. »Es ist Sommer, wir fahren drei Stunden, und ich will nicht, dass sie einen Sonnenstich kriegt. Hast du eine Klimaanlage?«
Anstatt eine Antwort abzuwarten, marschiert sie zurück ins Haus. Seufzend klippe ich die Saugnäpfe der Katzenteile an die Fenster. Nun erinnert der Mustang eher an das Zeichentrickauto von »Tom & Jerry« als an den Wagen aus »Bullitt«.
Als Nächstes schleppt Anne zwei riesige karierte Plastiktaschen heran, die selbst politisch völlig korrekte Menschen als »Türkenkoffer« bezeichnen.
»Die auch?« Ich nehme ihr die Taschen aus den Händen. Ein Stich schießt durch meine Lendenwirbelsäule.
Anne sieht mir den Schmerz an, ignoriert ihn aber. »Ich hole die nächste Ladung.«
»Wir sind doch nur zwei Wochen weg«, bemerke ich, denn ich habe nur drei Jeans, ein paar Shirts und Hemden eingepackt, außerdem Unterwäsche und mein MacBook. Nicht mal Kondome. Wozu auch?
»Nein, wir sind zwei Wochen mit Kind weg.«
»Aber Leonie ist doch total klein! Wie kann sie schon so viel Gepäck haben?« Mir kommt ein sehr logischer Gedanke. »Oder hast du sie etwa auch in die …?« Ich deute fragend auf die Plastiktaschen.
Anne schaut mich fassungslos an, schnaubt wütend und verschwindet im Haus. Wahrscheinlich schleppt sie zur Strafe für meine Nachfrage als Nächstes den Eichensekretär heraus.
Ich denke an meine Kolumne, seufze und beginne zu stopfen: Windeln, Feuchttücher, Wickelunterlagen, Schmusedecken, Kuscheltiere, Bilderbücher, Fläschchen, Messerchen, Gäbelchen, Tellerchen, eine Riesentasche mit Kinderkleidung, noch eine Riesentasche mit Kinderkleidung, noch eine Riesentasche mit Kinderkleidung und eine ebenso große Tasche mit Kinderkosmetik, obwohl sich Leonie wahrscheinlich auch nicht schminkt.
Wozu das ganze Zeug? Einen Großteil meiner Kindheit verbrachte ich in einem Ganzkörperplastikeinteiler mit integrierten Stiefeln, mit dem man mich nach dem Spielen unter die Dusche stellen konnte und in dem ich aussah wie ein kleiner Kammerjäger.
Der Kofferraum ist voll, mit letzter Kraft und unter Einsatz meines ganzen Körpergewichts gelingt es mir, ihn zu schließen. Annes silberfarbener Trolley passt nicht mehr hinten rein, den muss sie eben auf den Schoß nehmen. Gewicht auf den Oberschenkeln sind Eltern ja gewöhnt.
Meine neue Frau kommt mit einer monströsen Kreuzung aus Kinderwagen, Dreirad und Einkaufswagen um die Ecke, mit dem ich bisher nur joggende Eltern gesehen habe. In diesem hier thront Leonie.
Sie hat große blaue Augen, aus denen der Schalk blitzt, darüber lange schwarze Wimpern. Ihre geschwungenen Brauen wirken wie gezupft. Die obere Modelpartie ihres Gesichts steht in lustigem Kontrast zu ihren Pausbacken, dem Doppelkinn, dem aschblonden Lockenkopf und dem erstaunlich runden Bauch, den sie vorstreckt wie ein kleiner Buddha.
Auch ich habe blaue Augen, und wenn es regnet, kriege ich ehrlich gesagt manchmal Locken. Zumindest nach außen hin könnten wir tatsächlich als Vater und Tochter durchgehen.
»Hallo, du bist also die Leonie«, schleime ich.
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