Dreihundert Brücken - Roman
Jakowenko will den Bauern eine Lektion erteilen. Sie sollen dafür büßen, dass sie mit den Terroristen gemeinsame Sache ma chen. Abgesehen von dem sofortigen Resultat wird die Bombe auch noch eine psychologische Wirkung haben. Der Oberstleutnant will zeigen, wer in der Region das Sagen hat. Er wird die Rebellen in den Augen der Bauern demütigen, sie sollen sehen, dass sie nichts davon haben, wenn sie ihnen Unterschlupf gewähren, da sie früher oder später von ihnen dem eigenen Schicksal und Tod überlassen werden. Im letzten Jeep sitzt der Rekrut Andrej Guerra zusammen mit einem weiteren Rekruten und zwei anderen Soldaten. Sie begreifen nicht, wieso die Jeeps vor einer Hütte halten und der Oberstleutnant allen befiehlt auszusteigen. Weit und breit gibt es keine Brücke. Das hier ist nur ein verlassenes Haus. Jakowenko gibt seinen direkten Untergebenen Anweisungen, und diese geben die Befehle weiter. Jeweils zu zweit verteilen sich die Soldaten auf den Hügeln. Erst als sie oben ankommen, wird Andrej klar, dass sie einen hinter dem Hügel vermuteten Stützpunkt der Guerilla überfallen werden. Es ist ein noch kleineres Bauernhaus als das verlassene, vor dem die Jeeps gehalten haben. Die Soldaten umzingeln das Haus hinter dem Hügel, und als sie keine hundert Meter mehr davon entfernt sind, eröffnen sie das Feuer. Ein junger Mann kommt herausgelaufen, eine Flinte in der Hand, und wird getroffen. Er stürzt. In diesem Augenblick kommt ein zweiter mit erhobenen Armen heraus und schwenkt ein weißes Hemd. Er ruft etwas auf Russisch. Er ergibt sich. Die Arme immer noch erhoben, geht er zu dem, der getroffen wurde, und spricht ihn an. Die Soldaten kommen auch näher. Zwei vergewissern sich, dass niemand mehr im Haus ist. Erst aus der Nähe erkennt Andrej, dass der, der auf der Erde liegt, ein Junge ist, und dass der mit den erhobenen Armen furchtbar weint, den auf der Erde berühren möchte, sich aber nicht traut, die Arme herunterzunehmen, weil er Angst hat, dann ebenfalls erschossen zu werden. Er sagt zu Andrej auf Russisch, dass der Junge auf der Erde sein kleiner Bruder ist. Der Junge ist tot. Die Soldaten fragen, wo die anderen sind. Welche anderen? Die beiden Brüder waren auf der Jagd. Einer der Soldaten aus dem ersten Jeep befiehlt ihm, den Mund zu halten. Das Haus besteht aus einem einzigen Raum. Die beiden Soldaten, die das Haus durchsucht haben, kommen mit einem Gewehr, zwei Enten und einem toten Kaninchen heraus. Das ist nur eine Jagdhütte, sagt der eine. Da ist nichts drin. Die Soldaten kämpfen wortlos gegen eine Realität, die hartnäckig dem entgegensteht, was sie laut Befehl des Oberstleutnants tun sollen. Die Gewehre immer auf ihn gerichtet, treiben sie den jungen Mann den Hügel hinauf. Unterwegs dreht er sich nach dem auf der Erde liegenden toten Jungen um und bekommt dafür einen Kolbenschlag ins Gesicht. Die Soldaten haben es eilig. Sie müssen so schnell wie möglich zum Oberstleutnant kommen, bevor die Realität sie entwaffnet und sie zu der Einsicht kommen, dass der Mann, den sie mit ihren Gewehren vorantreiben, kein Terrorist ist und auch keine Bedrohung für die russischen Interessen in der Region darstellt. Bevor sie sich mit dem Schuldgefühl auseinandersetzen müssen, dass sie einen Jungen getötet haben, der mit seinem älteren Bruder in den Bergen gejagt hat. Und keiner kann so gut die Schuldgefühle der Soldaten zerstreuen und die Widersprüche der Realität beiseiteschieben wie Jakowenko. Sowie ihm der Gefangene von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, verlangt der Kommandeur, er solle seine Kampfgefährten ausliefern, mitteilen, wo sich das Waffenlager der Guerilla befindet, wie die nächsten Pläne lauten, und für jede nicht beantwortete Frage versetzt ihm einer der Gefreiten einen Faustschlag, bis er Blut spuckt und zusammenbricht. Der tschetschenische Fahrer übersetzt. Schließlich befiehlt der Oberstleutnant dem Gefangenen, sie zu seinem Haus zu führen. Der junge Mann weiß nicht, was er tun soll. Er ahnt, was ihm bevorsteht, und fleht Jakowenko um Gnade an, während sie ihn in den Jeep zwischen Andrej und dem anderen Rekruten verfrachten. Die beiden halten ihre Waffen auf ihn gerichtet. Das ist Berechnung. Kein anderer Kommandeur würde es riskieren, die Bewachung eines frisch festgenommenen Rebellen zwei unerfahrenen Rekruten zu überlassen. Aber es gehört zu Jakowenkos Taktik, das Schicksal herauszufordern. Er sucht einen Vorwand, brutal vorzu gehen. Nichts besser,
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