Dreimond - Das verlorene Rudel
und Zappeln wachzurütteln.
Kurzum, Fiona hasste es, morgens im Freien zu erwachen. Das Ganze war nicht im Geringsten so romantisch, wie es in ihren Büchern stand. Nur abends war es meist richtig schön, das Lager aufzuschlagen. Jedes Mal bedeutete es eine riesige Erleichterung, wenn Lex nach Stunden erbarmungslosen Fußmarsches in tiefer Dunkelheit endlich verkündete, den richtigen Schlafplatz gefunden zu habe. Sie packten ein wenig von dem Reiseproviant aus, aßen, tranken und blickten in den Sternenhimmel, bis sie eingeschlafen waren.
Fiona hatte anfangs noch erwartet, dass sie nachts ein Lagerfeuer machen würden, an dem sie sich dann, so wie es in all den Märchen nun mal üblich war, noch die eine oder andere schaurige Geschichte erzählten. Nun, zum Geschichtenerzählen war sie ohnehin zu ausgelaugt und von einem wärmenden Feuer hielten die Wölfe wenig. »Schnickschnack«, hatte Lex geknurrt. »Wir sind in Eile. Hier herumzuzündeln, das wäre die reinste Zeitverschwendung.« Stattdessen bauten die Wolfsmänner Nacht für Nacht eine Höhle aus wärmenden Wolldecken, in die sie sich eng aneinandergedrückt zwängten.
Dabei nahmen die Wölfe Fiona immer in ihre Mitte. Das war ihr anfangs ein bisschen peinlich gewesen, aber schnell hatte sie begriffen, dass es tatsächlich warm hielt , und beruhigend war. Es tat gut, den Atem der Begleiter neben sich zu hören, wenn das Knistern und Knacken der Bäume, der raue Wind oder das Tappen leiser Pfoten durch die Dunkelheit drangen. Wenn sie nicht schlafen konnte, sah sie Carras dabei zu, wie er im Traum Grimassen zog. Oder sie spähte verstohlen zu Lex, der, wenn er schlief, so ruhig, so erwachsen, ja beinahe schön aussah. Ganz anders als tagsüber, wenn er sie hetzte oder dumme Witze machte. Du solltest öfter den Mund halten, dachte Fiona in diesen Momenten der Geborgenheit, das steht dir richtig gut. Es war gar nicht so schlecht, mit zwei Wolfsmenschen im Freien zu schlafen …
Bis zum nächsten Morgen eben, wenn die grimmig grelle Morgensonne und der klirrend kalte Wind sie mal wieder viel zu früh aus den Träumen rissen. Es war jedes Mal aufs Neue eine Überwindung, sich aus den warmen Decken zu schälen, wenn die grelle Morgensonne und der eisige Wind sie aus den Träumen gerissen hatte. Es spornte Fiona auch nicht gerade an, zu wissen, dass der ganze Tag aus nichts anderem als einem mühseligen Fußmarsch bestehen würde, der sie, falls sie all die Anstrengungen durchstand, schnurstracks zu einem Rudel wilder Werwölfe führen würde.
Zu allem Überfluss wurden Lex und Carras von Morgen zu Morgen ungenießbarer. Sie gönnten sich immer weniger Schlaf, zuletzt nur einen Happen Frühstück, ehe sie zum Aufbruch drängten. Jeden Morgen hatten die beiden das Gefühl, zu lange gerastet zu haben. Egal, wie sehr sie sich beeilten, die Wölfe der Schwarzen Sichel blieben ihnen immer einen Schritt voraus.
Was sie wohl erwartete, wenn sie sie endlich eingeholt hatten?
*
»Wie lange soll das noch so weitergehen?«, schimpfte Lex in sich hinein, und trat mit Wucht gegen einen bräunlich nassen Erdklumpen. Der Wolfsmann schüttelte sich wütend den Matsch vom Fuß, begann unruhig auf der Anhöhe auf und ab zu gehen, während vom trostlos grauen Himmel schwache Nieseltropfen auf ihn niederfielen.
Schließlich blieb Lex stehen. Ungeduldig fuhr er mit der Hand durch sein widerspenstiges Haar, ehe er sich barsch an seinen Begleiter wandte.
»Zum Henker, Carras, hast du’s bald …?«
»Gib Ruhe, Lex! Ich muss mich konzentrieren!«, zischte der Wolfsjunge, der auf allen vieren auf dem matschigen Boden herumkroch und, die Nase dicht am Dreck, auszumachen versuchte, ob Bluter, Neuschnee und Serafin den kleinen Pfad, der sich seitlich um den Hügel schlängelte, oder aber die breitere Straße, die steil den Abhang hinunterführte, gewählt hatten.
Lex stöhnte. Carras brauchte immer länger, der Fährte der Schwarzen Sichel zu folgen. Immer weiter entkamen Bluter und Neuschnee mit Serafin!
Die Kerle sind einfach viel zu schnell, dachte Lex grimmig. Es war sein Ziel gewesen, ihnen den Weg abzuschneiden, bevor sie ihr Rudellager erreichten, in dem es von Wölfen nur so wimmeln musste. Wenn das so weiterging, hatten sie nicht die geringste Chance, den Vorsprung einzuholen – selbst ohne Fiona im Schlepptau.
Unwillkürlich drehte sich der Wolfsmann nach ihr um, die sich noch immer den Hügel hinaufkämpfte. Jetzt blieb sie stehen und drehte sich aus ihrem
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