Dreimond - Das verlorene Rudel
Wollschal eine Art Turban, mit dem sie sich wohl vor dem Nieselregen schützen wollte. Todernst und konzentriert blickte sie drein, während sie sich den Stoff, der bald wie ein schiefer Turm auf ihrem Haupt thronte, wieder und wieder um den Kopf wickelte. Sie hatte endlich ihr Werk vollendet, da frischte der Wind kräftig auf und riss ihr den Schal vom Kopf.
Fiona stieß ein ärgerliches »Verdammt noch mal« aus, startete aber auf der Stelle einen weiteren Wickelversuch. Zum ersten Mal an diesem düsteren Vormittag musste Lex lächeln.
Sie machte sich gut. Sie machte sich besser, als erwartet. Er hatte nie und nimmer damit gerechnet, dass dieses zerbrechliche Menschenmädchen die entbehrungsreiche Verfolgungsjagd so lange durchhalten würde. Zwar sah Fiona erschöpft aus – die tiefen Schatten unter ihren Augen verrieten, wie sehr ihr die Reise zusetzte, dass sie mehr Rasten nötig hatte und eine längere Nachtruhe –, und doch, sie bat nie um eine Pause. Mit grimmiger, fest entschlossener Miene folgte sie ihm und Carras, klagte nicht, maulte nie, stellte nicht einmal mehr Fragen.
Nun endlich hatte Fiona den Gipfel des Hügels erreicht. Keuchend setzte sie einen Fuß vor den anderen und kam mit einem kleinen stolzen Lächeln neben ihm zum Stehen. Manchmal war sie beinahe niedlich. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den neuen, noch schieferen Kopfputz der Kleinen. Auf eine sehr, sehr seltsame Art und Weise süß.
Mit einem Mal verfinsterte sich seine Miene wieder. Was, wenn Fiona tatsächlich durchhalten, wenn sie nicht – wie erwartet – aufgeben und zurückbleiben würde? Konnte er wirklich zulassen, dass sie in einen Kampf mit der Schwarzen Sichel hineingezogen wurde? Verdammt, dieses Rudel war gemeingefährlich und Fiona war trotz aller Entschlossenheit doch nur ein Menschenmädchen … Es sollte ihm egal sein, was mit ihr passierte, aber …
»Was soll das?«
Argwöhnisch funkelte sie ihn an. »Lex, was soll das werden? Was starrst du mich so an?«
Natürlich ließ sie sich nicht mit einem Achselzucken abtun.
»Le-hex! Was – ist – los?«, forderte sie nachdrücklich, als wäre er schwer von Begriff.
Von wegen zart und zerbrechlich. »Nichts ist, gar nichts«, brummte er in sich hinein.
»An was hast du gedacht? Nun sag schon!«, wiederholte Fiona unnachgiebig.
»Schöner Hut hab ich gedacht«, meinte Lex, grinste und strich ihr im Vorbeigehen über den Kopfputz, dass der mühevoll gewickelte Turban in sich zusammenfiel.
»Blödmann!«, schimpfte sie, als der sich an Carras wandte, der noch immer tief im Matsch kniete.
»Und, Kleiner? Weißt du jetzt, wo’s langgeht?«
»Vermutlich geradeaus«, erklärte der Wolfsjunge zögernd und fuhr sich über die Nase, an der nasse Erde klebte.
»Na, besonders sicher klingt das nicht gerade«, stöhnte Lex und hockte sich neben Carras.
»Als ob du es besser könntest …«
Ungerührt drückte Lex die Nase an den Boden. Er sog den Duft von feuchter Erde, von Gräsern und von Murmeltieren ein, die tief unter der Oberfläche lebten. Er konnte nicht einmal einen Hauch von Serafins vertrautem Geruch wittern.
»Bist du sicher, dass sie überhaupt hier gewesen sind?«, meinte er skeptisch.
»Natürlich sind sie hier gewesen! Ganz eindeutig sogar. Du bist nun mal kein Fährtenriecher, Lex! Also spiel dich nicht immer so auf!«
»Sag das noch mal …!«, knurrte er.
Herausfordernd grinste Carras ihn an. Auf einmal verzog er sein Gesicht.
Auch Lex bemerkte plötzlich den Gestank. Die Luft schmeckte auf einmal nach nassem Fell, nach Schweiß – und frischem Blut.
»Was ist das nun wieder?«, knurrte er.
»Meinst du den Wagen?«, fragte Fiona, die am Rand des Hügels stand und den Abhang hinunterblickte. »Da versucht so ein Pferdewagen, zu uns raufzufahren.«
Langsam, ganz langsam erhob sich Lex.
*
Fiona schenkte dem Wagen zunächst keine Beachtung. Sie war nur froh, dass die Wolfsmänner endlich anhielten. Da ertönte ein lautes, lang gezogenes Wiehern. Ein Mann fluchte und das Knallen einer Peitsche erklang – immer und immer wieder.
Sie fuhr zusammen, als direkt neben ihr ein markerschütterndes Brüllen erscholl. Lex!
Sein Gesicht hatte sich zur Fratze verzerrt. Sie sah in seinem Blick einen unbändigen Hass auflodern und bekam es mit der Angst zu tun. Aber da rannte er schon in wilder Hast den Hang hinunter.
»Was ist denn mit dem passiert …?«, fragte sie vollkommen verwirrt. »Was zum Teufel ist da los?«
Auch
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