Dreizehn bei Tisch
stehen.
»O weh. Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.«
Geraldine übernahm die Vorstellung. »Mein Vetter, Lord Edgware. Monsieur Poirot. Komm nur, Ronald, du störst nicht.«
»Wirklich nicht, Dina? Wie geht es, Monsieur Poirot? Versuchen Ihre grauen Zellen unserem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen?«
Wo hatte ich nur dieses runde, vergnügte, nichts sagende Gesicht, diese Augen mit den leichten Säcken darunter, diesen winzigen Schnurrbart, der wie ein braunes Inselchen in der Mitte des breiten Gesichts saß, schon gesehen?
Aber natürlich! Das war ja Carlotta Adams’ Begleiter, der beschwipste Tischgenosse bei Jane Wilkinsons Abendgesellschaft. Captain Ronald Marsh – der neue Lord Edgware.
13
D er neue Lord Edgware hatte einen scharfen Blick, dem mein leichtes Staunen nicht entgangen war.
»Na, ist’s Ihnen eingefallen?«, fragte er freundschaftlich. »Ja, ja, Tante Janes Einladung zum Supper. Hatte ein Glas zu viel getrunken, aber ich hoffte, dass man es nicht merken würde.«
Hercule Poirot verabschiedete sich bereits von Geraldine Marsh und Miss Carroll.
»Ich werde Sie hinuntergeleiten«, erbot sich Ronald. Und während wir die breite Eichentreppe hinabstiegen, plauderte er weiter: »Ein komisches Ding ist das Leben. An die Luft befördert heute und gleich darauf Herr und Gebieter im Haus… Mein verstorbener unbeweinter Onkel warf mich nämlich vor drei Jahren hinaus – aber vermutlich ist Ihnen das alles schon bekannt, Monsieur Poirot?«
»Ja. Ich habe es zufällig mal gehört«, sagte Poirot gemessen.
»Natürlich, so was hört man immer. Sogar dem grimmigsten Bluthund kommt es zu Ohren.« Er lachte leise und stieß die Tür des Esszimmers auf.
»Nehmen Sie eine kleine Stärkung, bevor Sie gehen, meine Herren.«
Poirot wie auch ich lehnten ab, worauf der junge Herr sich selbst einschenkte, ohne sein Geplauder dabei zu unterbrechen.
»Innerhalb einer einzigen kurzen Nacht bin ich, die Verzweiflung der Gläubiger, eine Hoffnung der Geschäftsleute geworden. Gestern bettelarm, heute im Überfluss schwimmend. Gott segne Tante Jane!«
Er leerte sein Glas. Dann aber wandte er sich in ernsterem Ton an Poirot.
»Was treiben Sie eigentlich, Monsieur Poirot? Ich meine, hier im Haus. Vor vier Tagen deklamierte Tante Jane dramatisch, als ob sie auf der Bühne stände: Wer will mich von diesem unerträglichen Tyrannen befreien? Und siehe da, sie ist befreit! Hoffentlich nicht dank Ihrer Mitwirkung, he? Das vollkommene Verbrechen, begangen durch Hercule Poirot, den einstigen Bluthund.«
Mein Freund lächelte nachsichtig. »Ich folgte heute Nachmittag einem Ruf von Miss Geraldine Marsh.«
»Eine sehr diskrete Antwort, mein Bester, mit der ich mich jedoch nicht abspeisen lasse. Aus dem einen oder anderen Grund interessiert Sie selbst der Tod meines Onkels.«
»Mich interessiert jeder Mord, Lord Edgware.«
»Aber Sie verübten ihn nicht, was? Sehr vorsichtig von Ihnen. Sie sollten Tante Jane Vorsicht lehren, Monsieur. Vorsicht und etwas mehr Zurückhaltung. Sie werden entschuldigen, wenn ich sie Tante Jane nenne, das macht mir nämlich Spaß. Haben Sie übrigens ihr verdutztes Gesicht gesehen, als ich sie auch neulich im Savoy so nannte? Sie hatte nicht den kleinsten Schimmer, wer ich war.«
»En vérité?«
»Woher sollte sie mich kennen… Ich wurde ja drei Monate vor ihrer Heirat mit meinem Onkel gebeten, mir ein anderes Dach über dem Kopf zu suchen.« Eine Sekunde verschwand der alberne, gutmütige Ausdruck von seinem Vollmondgesicht. Aber dann fuhr der glückliche Erbe Lord Edgwares mit derselben Leichtigkeit fort: »Prachtvolles Weib, nicht? Aber kein Geschick, keine Schlauheit. Ziemlich unreifes Vorgehen, wie?«
Poirot zuckte die Schultern. »Möglich.«
Ronald blickte ihn neugierig an. »Sie scheinen zu glauben, dass sie nicht die Täterin war. Also ist es ihr gelungen, Sie auch schon kirre zu machen!«
»Ich hege große Bewunderung für Schönheit«, sagte mein Freund gleichmütig. »Aber auch für Beweismaterial.«
»Beweismaterial?«
»Anscheinend wissen Sie nicht, Lord Edgware, dass Lady Edgware zur selben Stunde, als man sie hier gesehen haben will, auf einer Party in Chiswick war.«
»Donnerwetter! Also ist sie doch hingegangen? Das ist so richtig Weiberart. Um sechs Uhr versicherte sie, dass nichts auf Erden sie bewegen könnte, hinzugeben, und zehn Minuten später änderte sie schon ihre Meinung! Was lernt man daraus? Sich bei einem Mordplan nie auf eine Frau
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