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Dreizehn bei Tisch

Dreizehn bei Tisch

Titel: Dreizehn bei Tisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wünscht.«
    »Es ist ein sehr natürlicher Wunsch«, erwiderte ich, den Spieß umdrehend. »Wenigstens behaupteten Sie dies vor einer Viertelstunde. Der natürliche Wunsch, eine einzigartige Persönlichkeit aus nächster Nähe zu beäugen.«
    »Pah, mein Freund! Vielleicht sind Sie es gewesen, der bei unserem allerersten Besuch in diesem Haus einen solch unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht hat!«, hänselte Poirot und drückte gleichzeitig energisch auf den Klingelknopf.
    Ich rief mir das bestürzte Gesicht des Mädchens ins Gedächtnis zurück, das auf der Türschwelle erschienen war. Noch immer sah ich die brennenden dunklen Augen in dem weißen Gesicht. Wahrscheinlich hatte sie mich nachhaltiger beeindruckt als ich sie.
    Der schöne Griechengott führte uns die Treppe hinauf in ein geräumiges Wohnzimmer, und zwei Minuten später gesellte sich Geraldine Marsh zu uns. Sie war sehr gefasst – in Anbetracht ihrer Jugend sogar erstaunlich gefasst.
    »Wie liebenswürdig von Ihnen, so schnell meine Bitte zu erfüllen, Monsieur Poirot«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass ich Sie heute Morgen verfehlte.«
    »Sie hatten sich niedergelegt?«
    »Ja. Auf Drängen Miss Carrolls, der Sekretärin meines Vaters. Sie war meinetwegen unnötig besorgt.«
    »Was kann ich für Sie tun, Mademoiselle?«
    Sie zauderte. »Nicht wahr, am Tag, bevor mein Vater ermordet wurde, haben Sie ihn besucht?«
    »Jawohl.«
    »Weshalb? Bat er Sie zu sich?«
    Poirot antwortete nicht sofort. Er schien zu überlegen. Heute glaube ich allerdings, dass es von seiner Seite ein klug berechneter Zug war, um Geraldine, deren hitziges, ungeduldiges Temperament er erkannt haben mochte, zum Weiterreden anzustacheln.
    »Befürchtete er irgendetwas? Sagen Sie es mir, sagen Sie es. Ich muss es wissen. Was befürchtete er? Was teilte er Ihnen mit? Oh, weshalb sprechen Sie denn nicht?«
    Wie rasch war die zur Schau getragene Fassung zusammengebrochen! Jetzt saß Geraldine Marsh geduckt vornübergebeugt, und ihre Hände wanden und drehten sich nervös auf ihrem Schoß.
    »Ich verhandelte mit Lord Edgware über eine vertrauliche Angelegenheit«, entgegnete Poirot gedehnt.
    »Dann ist es wegen… Ich meine, dann muss es mit der Familie zu tun gehabt haben. Oh, warum bereiten Sie mir solche Folterqualen, Monsieur? Warum sind Sie so verschlossen? Es ist eine unbedingte Notwendigkeit für mich, dass ich es erfahre. Jawohl, unbedingte Notwendigkeit!«
    Ganz langsam schüttelte mein Freund den Kopf. Erstaunen, Verneinung, Abwehr – auf vielerlei Art konnte man dies Schütteln deuten.
    »Monsieur Poirot…« Sie richtete sich auf. »Ich bin seine Tochter; ich habe das Recht zu erfahren, was meinen Vater am letzten Tag seines Lebens bedrückte. Ich finde es nicht fair, mich im Dunkeln tappen zu lassen. Es ist auch nicht fair gegenüber dem Toten.«
    »Waren Sie Ihrem Vater denn so zugetan, Mademoiselle?«
    Sie zuckte zurück, wie von einer Wespe gestochen.
    »Zugetan? Ihm zugetan?«, flüsterte sie. »Ich… ich…«
    Und jäh zerstob der letzte Rest von Selbstbeherrschung. Ein perlendes Gelächter brach von ihren Lippen. In ihrem Sessel ‘zurückgelehnt, lachte sie und lachte.
    »Es ist so spaßig, dass einem eine solche Frage gestellt wird«, keuchte sie.
    Das hysterische Gelächter hatten auch andere Ohren als die unsrigen vernommen. Die Tür öffnete sich, und Miss Carroll trat ins Zimmer, nüchtern und fest.
    »Na, na, Geraldine, das geht doch nicht. Nein, nein… Schluss damit. Ich verlange es. Sofort hörst du mit Lachen auf!«
    Ihre entschiedene Art wirkte – Geraldines unsinniges Gelächter wurde schwächer. Sie trocknete ihre Augen und setzte sich auf.
    »Verzeihen Sie bitte«, sagte sie leise. »Es ist das erste Mal, dass mir so etwas passiert.«
    Miss Carroll betrachtete sie noch immer voller Besorgnis.
    »Keine Sorge, meine Liebe, ich bin wieder ganz vernünftig. Mein Gott, wie konnte ich mich so verrückt benehmen!«
    Dann kräuselten sich ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln: »Er hat mich gefragt, ob ich meinem Vater zugetan war.«
    Die Sekretärin gab ein unbestimmbares Glucksen von sich, das wohl Unentschlossenheit bezeichnete. Inzwischen fuhr Geraldine mit heller, höhnender Stimme fort:
    »Ich möchte wissen, ob es besser ist, sich an die Wahrheit zu halten oder mit Lügen aufzuwarten? Die Wahrheit, denke ich. Also: Ich war meinem Vater keineswegs zugetan, ich hasste ihn.«
    »Geraldine… Kind!«
    »Warum schwindeln? Sie hassten ihn nicht,

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