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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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verlassen hatte und die Hitze sich unbarmherzig auf ihn stürzte, um ihm den Rest zu geben.
    Keuchend und schwitzend schleppte er seinen Seesack und die Tasche mit dem Computer zum Taxistand und überließ es dem Fahrer, die schweren Bagagen einzuladen.
    Der Taxifahrer war ungefähr in Martins Alter, ein gutgelaunter, gutaussehender Bursche, blond und braungebrannt, und er fragte Martin, ohne dabei aufdringlich zu wirken, was er in Zadar vorhabe, ob er sich auskenne und ob er, Vedran, ihm bei irgendetwas helfen könne. Tatsächlich konnte er das: Die Frau hieß Juric, war eine jung gebliebene Witwe im Alter von etwa siebzig Jahren und vermietete die zwei nicht von ihr gebrauchten Zimmer an Touristen oder Studenten.
    »Außerdem kocht sie hervorragend!«, sagte Vedran und lächelte Martin mit einer Reihe blendend weißer Zähne an.
    Wie es komme, dass er so gut Bescheid wisse, fragte Martin, und Vedran erklärte ihm, dass Frau Juric und seine Großtante Nachbarinnen seien, die auf dem gleichen Stockwerk lebten, Tür an Tür sozusagen, und dass er früher, wenn seine Eltern bei der Arbeit waren, jeweils bei der Tante zu Mittag gegessen hatte und Frau Juric es nie hatte lassen können, ihn und seine Tante mit Köstlichkeiten aus ihrer Küche zu verwöhnen.
    So kam es, dass nach ein paar Minuten Fahrt bereits alles geklärt war: Vedran würde Martin bei der Witwe Juric abladen, und statt auf der Suche nach einer Bleibe in der sengenden Hitze mit Sack und Pack durch die Stadt zu stapfen, würde Martin sich schon bald in ein frischbezogenes Bett fallen lassen, die Augen schließen, bis der Buskater ausgeschlafen war, und sich am Abend frisch geduscht unter die flanierende Menge mischen und auf einer Woge guter Laune, wie er sie nur aus Dalmatien kannte, durch die märchenhaft beleuchtete, antike Altstadt tragen lassen.
    Kaum hatte Martin an die Altstadt gedacht, bog das Taxi von der dreispurigen Straße, die in den neuen Teil der Stadt führte, in Richtung |38| Meer ab, und da lag sie vor ihm, die alte Stadt, die Halbinsel, die vor langer Zeit eine Insel gewesen war; auch aus dieser Distanz erkannte Martin die hohe, massive Stadtmauer, die breit genug war, dass auf ihrem Rücken Autos zwischen Alleen von Bäumen und beidseitig parkierten Wagenreihen passieren konnten, die hohen Torbögen, durch die Menschen in die Stadt strömten und aus ihr hinaus, den Hafen, in dem um diese Tageszeit Dutzende Fischerboote und Touristenschiffe aller Größe vor Anker lagen, und natürlich waren da auch die Fähren, die auf die Inseln vor Zadar übersetzten, alle halbe oder ganze Stunde ein Mal.
    »Von deinem Zimmer aus siehst du direkt auf den Hafen«, sagte Vedran, und Martin nickte wortlos, überwältigt vom türkisblauen Meer und den uralten Gebäuden aus weißem Stein, den Inselketten, die sich jenseits der Stadt am Horizont erstreckten – erschüttert von der Kraft der Emotionen, die dieser Ort in ihm hervorrief, fragte er sich, wieso er nicht früher hierher geflohen war, wo allein dieser Anblick und das seidene Licht jede Depression heilen und das Salz in der Luft und der Duft des Meeres alles Gift aus seinem Körper und seiner Seele heraussaugen und einen neuen Menschen aus ihm machen konnten?
    Weil er ein Idiot war, dachte er. Aber egal. Wichtig war nur eines: Dass er jetzt angekommen und zumindest physisch weit weg war von seiner Vergangenheit; das Leben konnte von neuem beginnen.
    Nach weiteren zehn Minuten Fahrt hielt Vedran auf der der Altstadt gegenüberliegenden Seite vor einem massiven, vierstöckigen venezianischen Steingebäude mit gelbweißer Fassade an und verkündete: »So, da wären wir: Ihr neues Zuhause.«
    Er drehte sich zu Martin um und legte die Linke leger über das Lenkrad, lächelnd und mit der Frage in den Augen, was er von der Lage hielt, die, wie Martin zugeben musste, phänomenal war. Nach einem Blick über das Hafenbecken zur Altstadt und zurück auf das gelbe Haus nickte er Vedran mit einem Lächeln zu.
    »Perfekt«, sagte er, »könnte nicht besser sein.«
    |39| Vedran war sichtlich erfreut darüber, dass Martin gefiel, wohin er ihn gebracht hatte, es schien geradezu, als hätte er sich selbst und der Stadt einen Gefallen getan, indem er einem Fremden gleich bei der Ankunft ein gutes Gefühl gegenüber seiner Heimat gab. Er öffnete die Tür, stieg aus, schloss sie sanft und steckte den Kopf durch das offene Fenster auf der Fahrerseite, während Martin mit seinem Sicherheitsgurt beschäftigt war, der

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