Drift
für meinen Charme dazu.«
Martin gab ihm noch einen Fünfer.
»Für Ihren Charme und den der jungen Dame.«
Der Alte steckte das Geld ein und hielt dem Mädchen den Arm hin.
»Nein«, sagte Martin. »Bitte, das ist mein Privileg.«
Das Mädchen lächelte und legte die Finger um Martins Unterarm. »Danke.«
»Gern geschehen. Jederzeit und immer wieder.«
Martin hätte sie gerne an den Hüften gepackt und hochgehoben, aber die Zeiten, in denen sich ein Kavalier einer solchen Handlung hätte erdreisten dürfen, waren definitiv vorbei.
Mit einem Nicken in Richtung des Alten stieg er hinterher.
|45| VELEBIT
Eine Sekunde später öffnet man die Augen und die Stimmung von vorhin ist verschwunden, die Müdigkeit und Gelassenheit der Soldaten haben gereizter Spannung Platz gemacht. Wohl angesichts des bevorstehenden Nachteinsatzes, vermutet man – zu Unrecht: Im Krieg, lernt man später, sollte man möglichst wenig denken, denn der Körper weiß mit seinen uralten Instinkten bestens über Krieg Bescheid und ist durchaus imstande, selbst auf sich aufzupassen, ohne das störende Element Ratio – und es ist der Soldat, der einen zuvor beinahe liebevoll zugedeckt hat, der einen jetzt unsanft wachrüttelt.
»Aufwachen!«, herrscht er einen an und man setzt sich auf, reibt sich die Augen und versucht, klar zu sehen, und nach und nach setzen sich die flirrenden Farbpunkte zu den bereits bekannten Gesichtern der Soldaten und einer noch unbekannten Figur am Tischende zusammen, die schließlich zu einem scharfgezeichneten, in Zivil gekleideten Mann wird, der verdächtig nach Polizei aussieht, was einem wesentlich weniger gefällt als Militär – auch wenn es die eigene Polizei ist; Polizei ist nie auf der Seite, auf der man selbst steht, und man macht sich nichts vor: Über kurz oder lang wird man wohl im Gefängnis landen.
»Was?«, krächzt man mit verklebter Stimme in die Runde und der Soldat mit den Liebesnarben auf dem Unterarm antwortet mit kühlem Unterton, und man sieht ihn an und fragt sich, weshalb diese Stimme und wo das angenehm tiefe Timbre geblieben ist, mit dem er einem von seiner Jugend und einem der bis vor dem Krieg bestimmt traurigeren Abschnitte seines Lebens erzählt hat, um einem die Sinnlosigkeit des eigenen Handelns aufzuzeigen: Der Polizist, sagt er und zeigt auf den Typ in Zivil, müsse mit einem reden und man solle sich an den Tisch setzen. Also nimmt man auf dem einzigen freien Stuhl zwischen zwei Soldaten Platz, gleich vor dem |46| Sofa und gut zweieinhalb Meter vom Polizisten entfernt, der einem auch dann noch absolut unsympathisch wäre, trüge er eine Kinder-aus-reißenden-Flüssen-Retter-Uniform mit sämtlichen dazugehörigen Abzeichen, und man schaut in die Gesichter der Männer und versucht in ihren Augen zu erkennen, was jetzt auf einen zukommen wird, doch die einen verraten nichts und starren einen kühl an und die anderen suchen in ihrem Kaffee oder an der Wand nach einem Ausweg, also starrt man dem Polizisten unverhohlen kalt und abschätzig in die Augen und fragt: »Ja?«, und er fragt zurück: »Ja?«, als hätte man die dümmste Frage gestellt, die ihm je zu Ohren gekommen ist, und man wiederholt sich und sagt noch einmal und langgezogen: »Jaaaa?«, und er ist einfach zu blöd und hört den Witz des Dialogs nicht, aber was will man machen: Der Mann ist Polizist.
Erst jetzt merkt man, dass er etwas in den Fingern hält, was die Frage nach der Dummheit und dem Kräfteverhältnis relativiert: Es sind der eigene Pass und der Fahrzeugausweis, die einem das Militär zuvor abgenommen hat, und man beißt sich auf die Zunge und schweigt, denn, Polizist und dumm wie Brot hin oder her; auch ein blinder Polizist findet mal ein Korn, und man hört ihn schon fragen: Versicherungspapiere …?, aber er genießt seine Position und lässt sich Zeit, Zeit, die einem die Eingeweide verdreht. Er blättert im Pass, blättert im Fahrzeugausweis, immer laut vorlesend, als wollte er allen Anwesenden beweisen, dass er das tatsächlich kann, lesen, aber dann realisiert man, dass die Leserei nichts weiter als ein Vorspiel ist und der Zweck der Übung ein viel üblerer: Als er am Namen des Besitzers, in diesem Fall der Besitzerin des weißen Autos hängen bleibt und triefend vor Bösartigkeit fragt, wer das sei.
Er nennt den Namen der Mutter, die man vor gut dreißig Stunden angelogen hat, als ihre Stimme durch die Gänge hallte und fragte, was man so vorhabe an jenem faulen Sonntag, und man erinnert
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