Drift
– sachte vorwärts, sachte rückwärts – sanft anzulegen.
Tatsächlich dauerten die Manöver keine Minute: Die Schiffscrew warf dem Bodenpersonal die Seile hinüber, an denen die schweren, |63| armdicken Taue befestigt waren, die Männer am Boden zogen die Taue an Land und machten das Schiff fest, die Rampe wurde runtergelassen und den vordersten Autos Anweisung gegeben, vorsichtig von der Fähre zu fahren.
Martin betrachtete die Menschen, die an Land kamen.
Was er sah, war ein bunt durchmischtes Volk: Unter den Touristen mit den Kameras vor den meist dicken Bäuchen waren auch viele Einheimische mit Plastiktüten, müde, direkt von der Arbeit kommend freuten sie sich auf einen entspannten Abend mit ihren Familien, und einen Augenblick lang glaubte Martin, in der Menge das Mädchen entdeckt zu haben, das er am Tag zuvor im Ruderboot des Barkajols kennengelernt und von dem er sich korrekt und gentlemanlike verabschiedet hatte, ohne sie nach ihrer Nummer zu fragen oder um ein Date zu bitten.
Kaum sah er ihr Gesicht im Geiste vor sich, besserte sich Martins Laune und sein Leben machte – er überlegte kurz, ob er tatsächlich so einfach funktionierte und stellte ernüchtert fest: ja – plötzlich wieder Spaß; ein Gefühl, das er schon fast vergessen hatte. Und mit dem guten Gefühl kam ihm auch gleich eine Idee und mit ihr, stellte er erfreut fest, ein Ziel, und Martin machte, dass er rauskam; die Ticketschalter waren vermutlich nicht mehr lange geöffnet.
Er warf sich eine leichte Jacke über, packte die Zigaretten und etwas mehr Geld als üblicherweise ein und verließ das Zimmer.
Im Gang traf er Frau Juric, die, rein zufällig, wie sie ihm versicherte, etwas mehr eingekauft hatte und ihn fragen wollte, ob er vielleicht mit ihr zu Abend essen wolle, und Martin bejahte: »Gerne!«, sagte er, denn ein Abend ohne Kneipen, mit weniger Alkohol und einem guten, günstigen Essen würde ihm nicht schaden. Zudem war seine Laune angesichts der Möglichkeit, dem Mädchen zu begegnen, schon fast überschwenglich – und der freundlichen Witwe, die ihn bereitwillig zu einer minimalen Miete aufgenommen hatte, noch eine Abfuhr zu erteilen, wäre ohnehin nicht in Frage gekommen: Das war nicht sein Stil.
|64| Martin nahm die neunundneunzig abgewetzten Stufen (Frau Juric hatte die Aussage des Taxifahrers bestätigt; er könne gern nachzählen – was er dann auch getan und natürlich neunundneunzig gezählt hatte), vor den Augen der lächelnden Witwe, die ihm ins Treppenhaus gefolgt war, fliegend, obwohl sie ihm noch warnend hinterher rief, er solle aufpassen, die Treppen seien uralt, abgewetzt und glatt. Aber Martin kümmerte sich nicht darum und war in null Komma nichts unten, und wäre er auch ausgerutscht und hätte sich alle Knochen gebrochen, er hätte keinen Schmerz empfunden, so sehr hoffte er auf eine Begegnung mit der Schönen.
Gleich vor dem Haus, in dem Martin seine vorübergehende Bleibe gefunden hatte, befand sich eine Tankstelle und davor standen einige alte, dicke, aber nicht allzu hohe Palmen, an denen vorbei Martin zum gepflasterten Gehweg gelangte, der gleichzeitig Quai und Anlegestelle für die kleinen Boote mit maximal einem halben Meter Tiefgang war. Er sah über die Hafenbucht zur Altstadt hinüber, wo die großen Fischerboote und die Fähren festgemacht waren, und er verlangsamte seinen Schritt. Es machte keinen Sinn, zu laufen; bis er drüben ankam, würde sie schon lange irgendwo in den Gassen der Altstadt verschwunden sein, so sie denn überhaupt an Bord gewesen war. Aber es ging ihm nicht mehr allein darum, stellte Martin erleichtert fest. Er war leichten Herzens, und es spielte überhaupt keine Rolle, was dieses Gefühl verursacht hatte, denn es war ein Gefühl, das er seit Jahren oder bald Jahrzehnten nicht mehr gekannt hatte.
Wie einfach es doch war, glücklich zu sein, dachte er, und wie wenig es eigentlich dazu brauchte: ein wenig Hoffnung, ein kleines Ziel und etwas Sonnenschein – was um Himmels willen hatte er nur falsch gemacht während der vergangenen Jahre?
Er wollte sich den Kopf nicht darüber zerbrechen. Er sah sich die Leute an, die mit kleinen, halbdurchsichtigen, weißen, gelben und rosa Plastiksäcken vom Markt kamen, der jeden Tag auf der Piazza |65| stattfand und wo man alles finden konnte, was frisch war: Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch; ein wunderbarer Ort, dessen tatsächliche Schönheit und Lebendigkeit wahrzunehmen er nicht imstande gewesen war, bis ihm dieses
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