Drift
Das Gefecht verstummt für einen Augenblick, wie als Antwort auf die zwei abgefeuerten Schüsse, und man weiß, wie dumm der Gedanke ist, und glaubt doch daran, eventuell die Welt und ihren Lauf irgendwie beeinflussen zu können, denn nach dem schrecklichen Lärm ist da nur noch Stille und vollkommene Schönheit, und vorbei ist’s mit Kugel in den Kopf, nicht vor dieser Kulisse, dann aber schon wieder Granaten und der Gedanke: Scheiße, was jetzt, wohin? Zurück zu den Soldaten und von der falschen Seite herkommend doch noch eine Kugel in den Kopf? Nein. Aber wohin denn sonst; mit einer Patrone an die Front? Wenigstens Tag sollte es sein, die Soldaten, so es denn dieselben wären, würden einen vielleicht erkennen, wobei: Ob’s mit der gestohlenen Pistole nicht doch eine Kugel in den Kopf gäbe, ist mit Kriegsrecht und Offizierswut definitiv diskutierbar.
|61| TICKETSCHALTER
Das Mädchen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Martin saß in einer gemütlichen Bar in der Altstadt von Zadar, die Jukebox spielte Songs aus den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern, allesamt mit einigem Geschmack ausgesucht, und er trank ein Bier nach dem anderen und den einen oder anderen Whisky zwischendurch.
Er musste zwar aufs Geld achten, aber das war ihm im Augenblick egal; lieber würde er in den sauren Apfel beißen und ein, zwei Mal bei der lieben Frau Juric essen, als auf die Whiskys verzichten. Zudem hatte die Witwe es ihm schon mehrfach vorgeschlagen und ihm gepredigt, dass ihn das Mittagessen bei ihr nur die Hälfte von dem koste, was er im Restaurant bezahlen müsse. Und natürlich hatte sie recht, aber Martin zahlte lieber doppelt so viel und wurde dafür von niemandem vollgequatscht und musste selbst nichts von sich erzählen, wenn irgend möglich.
Auf der anderen Seite, dachte er, würde sie ja vielleicht auch still sein, die Witwe. Oder im besten Fall sogar interessant. Er trank sein Bier aus, nickte zur Bestätigung und sagte sich, er werde es gleich morgen ausprobieren.
Am nächsten Tag war es bereits drei Uhr nachmittags, als Martin mit einem Kaugummischädel erwachte. Er brauchte satte zwei Stunden, bis er so weit war, sein Zimmer in einigermaßen aufgeräumtem Zustand zu verlassen. Duschen war eine Qual und die erhoffte Linderung seiner Schmerzen blieb aus. Obwohl es Sommer war und siedend heißes Wasser aus dem Duschkopf kam, fror er. Er rauchte am offenen Fenster und trank vier, fünf Tassen Instant-Kaffee, während er dem Verkehr im Hafen zusah.
Die kleineren Boote tuckerten meist direkt auf ihre Liegeplätze zu, wo sich die Besitzer, die entweder pensioniert oder arbeitslos |62| oder direkt nach der Arbeit noch eine Runde Fischen gegangen waren, Zeit ließen, ihr kleines, meist aus Plastik hergestelltes und im Vergleich zu den alten, schönen Holzbooten weniger anfälliges Goldstück sorgfältig zu vertäuen und gewissenhaft zu säubern.
Die großen Fischerboote verließen den Hafen erst gegen sieben oder acht Uhr abends, je nachdem, wie weit draußen sie ihre Netze auswerfen wollten, und auf ihnen gab es nicht viel zu beobachten; die Mannschaften waren entweder in der Stadt und spielten Karten oder tranken oder aßen bei einem Koch, dessen Menus etwas besser waren als die des Schiffskochs; die Glücklicheren lagen bei ihren Frauen, Geliebten oder Lieblingsprostituierten im Bett und rauchten im leichten, warmen Durchzug des abflauenden Nachmittagswindes die Zigarette nach dem Sex.
Den Fähren schaute Martin am liebsten zu. Sie kamen mit horrendem Tempo zwischen die wenige Meter rechts und links von ihrem Anlegeplatz festgemachten anderen Fähren auf die Hafenmauern zugesteuert, und jedes Mal, wenn Martin dachte, es sei wirklich zu spät und der Stahlkoloss würde erbarmungslos gegen die massiven Felsblöcke des Quais donnern und die wartenden Passagiere und Autos mit der halboffenen Laderampe enthaupten und zermantschen, warfen die Kapitäne den Rückwärtsgang ein und brachten das Wasser unter Heck und Bug mit Abertausenden Dieselpferden der tief im Rumpf des Schiffes arbeitenden Riesenmaschinen zum Kochen und es sah aus, als hielte eine gigantische Geisterhand den Finger zwischen Quai und Bug, um das im Vergleich miniaturgroße Schiff aufzuhalten, wie ein Kind den Spielzeugkreuzer in der Badewanne; die Fähren legten an, als wären sie auf die Mauern zugekrochen gekommen und als hätten die Kapitäne sich alle Zeit der Welt genommen, um vorsichtig zwischen die anderen Schiffe hineinzumanövrieren und
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