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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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zurückgefallen, und der Entschluss steht, bevor man ihn im Ansatz gedacht hat, und die Handlungen geschehen von alleine, die Haustüre, weiß der Körper, ist abgeschlossen, also führt er einen direkt in die hinteren Bereiche des Hauses, von denen man noch nichts gesehen hat, und man bleibt stehen und schließt die Augen, als man das Licht des Wohnzimmers verlässt, presst die Lider zusammen, um sie im nächsten Moment zu öffnen und etwas mehr zu erkennen in der Dunkelheit, die keinen Meter von der Wohnzimmertüre entfernt herrscht, Vorsicht, nichts umstoßen, um Himmels willen, keine Vase, keinen Stuhl, und man schleicht zurück, das Bild einer alten Taschenlampe |56| auf dem Tischlein neben dem Kühlschrank vor Augen, und da ist sie und die Situation in ihrem Lichtkegel schnell geklärt: Die Türen zu beiden Seiten des Ganges abgeschlossen, keine Illusionen darüber, diese ohne Hilfsmittel lautlos zu öffnen und dann, dahinter? Womöglich in ein benutztes Schlafzimmer treten oder auf einen Hund, nein danke, zu riskant, es bleibt nur die schmale Tür zur Toilette und das Fensterchen von vierzig auf vierzig Zentimetern in gut zwei Metern Höhe.
    Schlimmstes Szenario: Man wird erwischt von den zurückkehrenden Soldaten, zweitschlimmstes: zurückgehalten vom guten Mann, und in beiden Fällen die Frage, was dann geschehen würde, Kriegsgericht vielleicht, vermutlich jedoch nicht, aber Polizei, das auf jeden Fall, wobei, was ist man eigentlich – nicht verhaftet, dem Zivilrecht unterworfen, aber wie sieht’s mit dem Militär aus, wenn man denen eine Pistole klaut? Keine Zeit, denkt man, der gute Mann könnte sich verschlucken, einen Hustenanfall bekommen, nach hinten kippen und erwachen, eine der zwei Türen könnte sich öffnen und den Gang mit Soldaten überfluten, drum Lederjacke, Pistole aus dem Halfter und rein in die Innentasche, dann Akrobatik, geräuschlose, wenn möglich.
    Es gibt Momente, da setzt die Zeit aus, Minuten fühlen sich an wie Stunden und die Situation lässt einem den Schweiß über Gesicht, Rücken und Brust laufen: Man hängt irgendwann zur Hälfte aus dem Toilettenfensterchen, ohne die Möglichkeit, sich irgendwo abzustützen, weder draußen mit den Händen noch drinnen mit den Füßen, also zwängt man sich weiter raus, noch ein Stück und noch eines, schafft es irgendwie, sich mit den Fingerspitzen an dem kaum einen Zentimeter aus der Wand herausragenden Fensterrahmen so hochzuziehen, dass man sich halb rück-, halb seitwärts fallen lassen kann, ohne mit den Beinen im Fenster hängen zu bleiben und dabei die Kniegelenke in die falsche Richtung zu verbiegen, und man landet auf dem linken Ellbogen und schafft es dank leicht abfallendem Boden, eine Rolle zu machen und sich nicht das Genick zu brechen. |57| Der Fall schmerzt zwar, ist aber nichts im Vergleich zu der gefühlten Stunde Kampf mit dem Fenster; erleichtert liegt man in der Dunkelheit und atmet durch.
    Der erste Griff gilt der Pistole – sie ist da, die Zigaretten, auch sie noch vorhanden. Man bleibt liegen und horcht, versucht sich zu orientieren und schleicht, als man glaubt, den Mann mit den guten Ohren immer noch schnarchen zu hören, vorsichtig um das Haus herum zum Auto, Tür auf, Deckenbeleuchtung aus, Schieben und Stoßen, bis die Steigung des Sträßchens in Richtung der größeren Straße keinen Schritt mehr zulässt; ein Sprung ins Wageninnere, die Handbremse ziehen, um wertvolle, hart erkämpfte Meter nicht zu verlieren, dann vorsichtig die Tür schließen, den Puls beruhigen und kurz innehalten, ausharren in der Dunkelheit. Man startet den Motor und er springt leise an, stirbt jedoch sofort ab, als man versucht, möglichst geräuschlos den Hang raufzukommen, und man spürt das Herz wieder im Hals, schaut verzweifelt in den Rückspiegel, schätzt ab, ob man weit genug weg ist von den Häusern, und beschließt ja, und es geht auch nicht anders, also etwas mehr Gas geben beim zweiten Versuch und es klappt und man fährt das Sträßchen langsam und ohne Licht hinauf und verschwindet schon bald hinter der ersten Kurve, außer Sichtweite der Häuser, und beschleunigt ohne die Gefahr, vom Sträßchen zu geraten, der Vollmond hell wie die Sonne bei Dämmerlicht, und an der Kreuzung mit der Hauptstraße biegt man rechts ab, weg von der Straßensperre, in die man weiter links geraten ist, und die Augen gewöhnen sich immer besser ans Mondlicht und schließlich zeigt die fluoreszierende Tachonadel hundert an und nach gut

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