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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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verbreiteten einen faulig-süßlichen Gestank in der Wohnung.
    Bis auf das kurze Öffnen der Tür, um die Pizza oder die Ente Shanghai und den Whisky entgegenzunehmen und die Lieferanten mit viel Trinkgeld zu bezahlen (Whisky stand zu Martins Bedauern bei den meisten Pizzerien und Chinesen nicht auf der Karte und kostete), ohne sie einen Blick ins Chaos und die Sauerei der Einzimmerwohnung |100| werfen zu lassen, ging weder ein Fenster noch eine Tür auf; weder erwartete er Besuch, noch wollte er jemanden sehen.
    Martin suchte schon seit Wochen nach einem guten Grund, weiterzuleben, konnte aber keinen finden.
    Das Buch? Kaum.
    Warten und hoffen, dass es ein halbpatziger Bestseller würde, und dann aus Tausenden von Groupies aussuchen können, so wie Julien das immer getan hatte? Mit welchem Resultat? Julien war im Knast gelandet. Und sollte das Buch kein Erfolg werden, würde er sich in derselben Situation wiederfinden, in der er sich jetzt befand: betrunken und mit dem Schicksal hadernd. Oder im Knast, natürlich. Und Martin wollte weder das eine noch das andere.
    Ein Leben ohne Helena, das war ihm nach und nach klar geworden, machte keinen Sinn, Erfolg hin oder her.
    Eine Kugel in den Kopf und die Sache war erledigt.
    Martin flößte sich einen großen Schluck aus der Flasche Whisky ein, verschloss sie wieder, nahm den Revolver, klappte die Trommel raus und ließ die Patronen in seinen Schoß fallen. Er untersuchte sie eine nach der anderen, entschied sich schließlich für diejenige, deren kleines Loch in der Bleikugel ihm am besten gefiel – und hatte eine Idee.
    Er warf die Patrone zurück auf den Haufen, ging zum Schreibtisch und holte sein Lieblingsklappmesser, eines von der verbotenen Sorte, die man mit einer Hand öffnen konnte. Er hatte nur solche Messer, gut ein Dutzend; was nützte ihm ein Messer, wenn er in Schwierigkeiten geriet und mit beiden Händen rumfummeln musste, bis die Klinge stand und einrastete? Nein, für solchen Kram hatte er nichts übrig: Die Linke, um festzuhalten, was es festzuhalten gab, die Rechte, um das Messer vom Gürtel zu ziehen, aufzuklappen und dann entweder mit einer deutlichen Drohung die Situation zu beenden oder abzustechen, was es abzustechen gab – was bisher zum Glück nie nötig gewesen war: Drohung und verzerrte |101| Fratze hatten immer gereicht, um die Typen in die Flucht zu schlagen.
    Martin setzte sich zurück aufs Bett und griff sich eine Handvoll Patronen. Ohne hinzusehen schnappte er die Flasche vom Boden, biss in den Korken, riss ihn mit den Zähnen raus und spuckte ihn quer durchs Zimmer. Er setzte an und leerte den Alkohol in sich rein, bis seine Augen wässrig wurden. Dann wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, klemmte die Flasche zwischen die Oberschenkel und inspizierte die Patronen.
    Diejenigen, deren Löcher ihm irgendwie kleiner schienen, schmiss er zu Boden, die anderen legte er neben sich aufs Bett. Der Gedanke, dass die Kugeln allesamt in der gleichen Form gegossen worden waren, kam ihm nicht.
    Nach einigen Minuten ausführlicher Untersuchung lagen zehn Patronen neben ihm und etwa dreißig am Boden. Die auf dem Bett nahm er genauer unter die Lupe und benutzte eine, die zwar okay war, aber nicht ganz so hübsch wie die restlichen, zum Testen. Schließlich wusste er nicht, wie hart das Blei war und wie gut sein Messer schneiden würde. Aber das Resultat war erstaunlich: Wenn er nur ein wenig fester drückte, war schon die Hälfte des Bleis weg. Also übte er ein Weilchen und hatte bei der fünften Patrone das Loch so hingekriegt, wie es ihm gefiel: perfekt.
    Es war schön gleichmäßig, hatte etwa drei, dreieinhalb Millimeter Durchmesser, statt der einskommawasauchimmer im Original, und er war sich sicher, dass diese Kugel den Job zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigen würde. Das also wäre gelöst. Nur über eines war er sich noch nicht im klaren: ob er eine Nachricht hinterlassen sollte.
    Aber an wen? An seine Eltern? Helena, die Liebe seines Lebens? Oder sollte er etwa seinem Literaturagenten schreiben und ihn zum Teufel schicken, weil er sich schon seit zwei Wochen nicht mehr meldete, obwohl er ihm versichert hatte, dass das Buch in null Komma nichts verkauft und von einem Riesenverlag rausgebracht |102| werden würde und er, Martin, mit einem fetten Vorschuss rechnen konnte, der es ihm erlauben würde, mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Jahre lang davon leben zu können, wo immer es ihm beliebte? Lächerlich. Geschichten für

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