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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Vor- und Nachnamen und dass man als Freiwilliger da ist und die Pistole, die er in der Hand hält, vom Kühlschrank eines zu einem Militärposten umfunktionierten Hauses kommt und einem Offizier gehört.
    »Wir werden dich morgen früh in die Kaserne mitnehmen, dann sollen die entscheiden, was mit dir geschehen soll.«
    Man nickt. Nimmt die Tasse Kaffee, die einem der Soldat hinhält, der ihn gekocht hat. »Mein Name«, sagt er, »ist Tomo. Und das hier«, sagt er und zeigt auf die Frau mit dem Pferdeschwanz, »das ist Nada. Die anderen kennst du ja schon.« Man nickt allen zu und sagt »Hi« und dass es einen freut, ihre Bekanntschaft zu machen; Nada nickt einem zu und Marko fragt Boris, ohne die Augen von einem zu nehmen, wie man geschossen habe. »Gut«, antwortet Boro, ebenfalls, ohne sich umzudrehen. »Wie viele hast du erwischt?«, will Marina wissen, deren Augen einem im Licht der Kerzen die Sinne noch mehr vernebeln, und man sagt, man wisse es nicht. »Vier, vielleicht fünf«, sagt man. »Es waren neun«, brummt Boro und die Gesichter verändern sich augenblicklich: Tomo nimmt seinen Stuhl, stellt ihn neben das große Sofa und sieht einen lächelnd an; man sitzt in zivil vor einer Reihe kroatischer Soldaten und wird gemustert. Gutmütig gemustert. »Neun Stück, was?«, sagt Marko und man zuckt mit den Schultern, denn das letzte, was man will, ist Boro widersprechen. Aber tatsächlich hat man keine Ahnung, wie viele es waren, und |98| vermutlich hatte Boros erfahrenes Auge besser erkannt, was sich auf dem Feld abgespielt hatte.
    »Gut«, sagt Marko, »dann behalte das Gewehr vorläufig!« Er zieht die Offizierspistole aus dem Gürtel. »Da, fang auf«, sagt er und wirft sie einem zu. Man verstaucht sich den Ringfinger, als man die Waffe auffängt, sie ist plötzlich um einiges schwerer.
    »Ich habe sie geladen«, sagt Marko.
    »Frierst du?«, fragt Tomo und zum ersten Mal wird einem bewusst, wie müde man ist.
    »Hungrig?«, fragt Marina und man nickt.
    Eine halbe Stunde später sitzt man satt und in eine Decke gehüllt in seinem zerschossenen Sessel und fragt sich, wie es kommt, dass man diese sechs Menschen bereits so sehr ins Herz geschlossen hat, dass man sein Leben riskieren würde, um ihres zu schützen. Die Umstände, denkt man, es muss an den Umständen liegen, an der Extremsituation.
    Vielleicht aber liegt es auch daran, dass sie die Muttersprache sprechen, die man so sehr vermisst hat im anderen Land, und dass sie freundlich zu einem sind, freundlich und fast liebevoll, als wäre man ihr Bruder, und das, obwohl man de facto ein Fremder ist, den sie vor wenigen Stunden noch, ohne mit der Wimper zu zucken, erschossen hätten. Aber jetzt, wo man an ihrer Seite gekämpft und einen Angriff abgewehrt hat, haben sie Brot, Speck und Schnaps mit einem geteilt und man fühlt sich warm und geborgen, und das nicht nur körperlich, sondern auch seelisch – man hat Menschen erschossen und doch kümmert es einen nicht; man ist konzentriert auf das, was da ist, und da sind diese sechs Menschen und man fühlt sich wohl unter ihnen.
    Zu Hause.

|99| MANUSKRIPT
    Martin saß in Freds kleiner Wohnung auf dem Bett, die geladene Waffe in der Hand.
    Das fertige Manuskript, Resultat ewig dauernder Monologe und monatelanger Arbeit, lag zwischen seinen Beinen, vollgeschmiert mit Waffenfett für den Revolver, und auf und neben dem dicken Manuskript lagen Dumdum-Geschosse verstreut, Patronen, die er von Julien samt der 38er geschenkt bekommen hatte; schoss man sich damit in den Kopf, bestand keine Chance, zu überleben: Die Kugel ging nicht auf der einen Seite rein und vielleicht und irgendwie am Gehirn vorbei durchs Auge, Ohr oder den Kiefer wieder raus; traf diese Sorte Projektil auf Fleisch und Knochen, nahm es alles mit, was da war. Mit dem Resultat, dass an der Austrittsstelle ein Loch entstand, in das man problemlos eine Faust stecken und, wenn man wollte, den Matsch im Inneren befühlen konnte.
    Schloss Martin die Augen, konnte er sich daliegen sehen, die Hälfte seines Schädels und seines Hirns klebte an der Wand hinter ihm, der Rest eine Erdbeer-Margherita im Mixer, der einmal sein Kopf gewesen war.
    Der ultimative Drink für Vampire, dachte er und grinste schief.
     
    Martin war betrunken, und das schon seit Tagen. Er hatte nicht geduscht und stank, und die Kartons und Plastikschalen der Pizzas und des chinesischen Essens, das er sich hatte bringen lassen, moderten über den Boden verstreut vor sich hin und

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