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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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schießt und schießt und man kommt nicht weg, kann nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich so klein machen wie nur möglich.
    Man komme hier nicht weg, schreit man und fügt mit sich überschlagender Stimme hinzu, noch ein paar Sekunden und man sei tot! »Maarkooo!« – »Rühr dich nicht von der Stelle!«, schreit er zurück und man denkt nicht im Traum daran; die Äste und halben Bäume, die auf einen runterregnen, werden einen entweder erschlagen oder einem das Leben retten, aber die Kugeln treffen immer tiefer und man weiß, lange wird es nicht mehr dauern und man ist dran. Man hat keine Ahnung, was Marko vorhat, aber er |163| wird schon wissen, was er tut, hofft man und beginnt, das Gesicht fest in den feuchten, wunderbar duftenden Waldboden gedrückt, zu kichern; wie eine Lawine überkommt es einen und irgendwann lacht man lauthals heraus, das ist es also, was mit einem geschieht angesichts des sicheren Todes, man lacht sich kaputt darüber … Und gerade als man so weit ist, sich, hysterisch und wahnsinnig genug geworden, aus dem Geäst zu befreien und lachend auf den Schützenpanzer zuzurennen, hören die Einschläge über einem auf, ohne dass das Stakkato des Maschinengewehrs verstummt wäre – Marko, denkt man, sie schießen auf Marko! Man mobilisiert alle Kräfte und schafft es irgendwie aus dem Berg von Ästen hinaus und stolpert durch das niedergemähte Stück Wald auf den nächsten dicken Baum zu, von dem aus man einen Blick auf den Schützenpanzer erhaschen und vielleicht erkennen kann, wo Marko ist, und da ist er: Mitten auf dem Hang, in der Nähe der ersten Hunde- und Hundeführerleiche rennt er hinüber auf die andere Seite.
    Man reagiert sofort und schießt auf den Schützenpanzer, obwohl man weiß, dass die Kugeln den dicken Stahl nicht durchschlagen können; da fallen Schüsse auf der anderen Waldseite, und obwohl man nicht gedacht hätte, dass das funktioniert, hört das Stakkato für einen Moment auf, weil der Schütze sich nicht sicher zu sein scheint, worauf er sein Maschinengewehr richten soll, und Marko verschwindet im Wald … Nichts wie weg! Man stürmt im Neunziggradwinkel vom Waldrand weg hinein ins Dunkel, Äste schlagen einem ins Gesicht, alle zehn, zwanzig Meter rennt man gegen einen Baum, einen Baumstrumpf oder stolpert über eine Wurzel und landet Gesicht voran auf dem Boden – nach hundert Metern hat man sich Nase und Lippen blutig geschlagen und den Verband vom Oberarm gerissen, man schlägt einen Haken und rennt aufwärts, in die Richtung, in der man seine Kameraden zu finden hofft.
    Der Blick auf die Uhr sagt, dass es nach zehn ist, als man immer noch durchs Halbdunkel des Waldes schleicht, ohne Kompass und freie Sicht auf den Sternenhimmel ziemlich aufgeschmissen. Vielleicht, |164| denkt man, wäre es am besten, man würde sich hinsetzen und warten, dass die anderen einen finden – vielleicht läuft man ja im Kreis. Und tatsächlich. Keine fünf Minuten nachdem man sich hingesetzt hat, hört man Äste knacken und Marinas Stimme durch den Wald raunen: »Er findet hier nicht alleine raus, Marko. Gib mir noch eine Viertelstunde, bitte!«
    »Marina!«, stößt man hervor, »Marina!« Und dann hört man Joskos Stimme und man weiß, dass alle drei am Leben sind, und es ist mehr ein Seufzer, als dass man spricht: »Hier, hier drüben!« Dann lässt man sich wieder gegen den Baum fallen und nach unten gleiten, Sterne vor den Augen und ein lautes Rauschen in den Ohren. Man wird gleich ohnmächtig werden, denkt man und kichert dabei.
     
    Man geht, schweigend und im Gänsemarsch, hinter Marko her durch den Wald. Als die Gruppe hinter den Bäumen hervorgekommen ist, hat sich Marina vor einen hingekniet und ist einem zärtlich, aber ohne ein Wort zu sagen, mit den Fingern über die Wange gefahren, bis man mit dem dämlichen Gekicher aufgehört hat. Josko hat einem den Verband erneuert und auf die Beine geholfen. Marko hat nichts gesagt, aber in seinem Blick glaubte man eine Spur Stolz zu erkennen.
    Der Wald wird lichter, und kaum hat man genügend Platz, um zu zweit nebeneinander hergehen zu können, bilden sich, ganz ohne Worte, zwei Paare: Josko und Marko gehen voraus, Marina und man selbst dahinter. Woran es liegt, kann man nicht sagen, aber man nimmt ihre Hand, ohne zu zögern, und man drückt sie fest. Ebenso instinktiv erwidert Marina den Händedruck und trotz des Gefühls freundschaftlicher Nähe fühlt man Erregung; keine Erregung, die sich bis in die

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