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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Genitalien fortsetzt, aber eine Erregung, die den ganzen Körper erfasst, ein Kribbeln der Haut, der Muskeln, ja, man glaubt sogar, die Knochen jauchzen zu hören, und man weiß, dass man trotz des fast geschwisterlichen Händedrucks bei der ersten |165| Gelegenheit ungehemmten Sex miteinander haben wird. Marina scheint ähnlich zu fühlen, denn sie drückt einem die Hand noch mal ganz fest und lässt dann langsam los – was gut ist, denn das Blut beginnt bei der Vorstellung, zwischen ihren Beinen zu liegen, sofort südlich zu fließen und Gefäße zu füllen, die im Augenblick besser ungefüllt bleiben.
    Zwischen dem Bauernhof und dem Waldweg, in den man gerade einbiegt, müssen an die fünfzehn Kilometer liegen. »Wie weit ist es noch nach Gospic?«, fragt man. »Halbe Stunde«, antwortet Marina, den Blick starr vor die Füße gerichtet. »Was dann?« – »Dann bringen wir dich zuerst mal ins Krankenhaus. Und ruhen uns aus. Wir wissen jetzt, wo sie sind. Geht uns nichts mehr an.« – »Wie meinst du?« – »Marko erstattet Bericht, dann ist die Infanterie und Artillerie dran.« – »Entschuldige die blöde Frage – aber was sind wir eigentlich?« Jetzt kann sie sich ein Lächeln doch nicht verkneifen. »Wir sind Aufklärung.« Aha. Marina schüttelt den Kopf und sagt: »Du bist ein komischer Vogel.«
     
    Man kommt im Morgengrauen an und Marina bringt einen gleich ins kleine Krankenhaus. »Wenn sie mit dir fertig sind, komm ins Haus und leg dich hin.« Man nickt.
    Sie übergibt einen an eine ältere, rundliche Krankenschwester, die genau so wenig geschlafen zu haben scheint wie man selbst. »Kommen Sie«, sagt sie und führt einen in einen Raum mit durch Vorhänge voneinander getrennten Betten. »Legen Sie Ihre Sachen ab. Ich helfe Ihnen dann mit Jacke und Hemd, bin gleich zurück.« In der Annahme, dass sie einen Arzt holen geht, stellt man das Gewehr neben das Bett, legt den Pistolen- und den Granaten- und Munitionsgürtel ab und setzt sich auf die Bettkante. Man ist müde, hat vielleicht nicht viel, aber doch einiges an Blut verloren und im Kopf überschlagen sich Bilder von toten Hunden und Soldaten. An den aufgehängten und zerstückelten Mann in der Scheune, an Tomo, Boro und Nada wagt man nicht zu denken, jedes Bild wird sofort |166| verdrängt und durch ein anderes ersetzt, ein erträglicheres: getroffene, vorn- und hintenüberfallende Feinde.
    »Lassen Sie mal sehen.« Es ist die Krankenschwester: Sie stellt ein silbernes Tablett mit Scheren, Spritzen und anderen Instrumenten auf den Nachttisch und nähert sich mit einer Schere. Sie schneidet den neuen Verband auf, entfernt ihn und sagt: »Jetzt die Jacke und das Hemd.« Man versucht, den Reißverschluss zu öffnen, aber jetzt, wo der Druck des Verbandes fehlt, schmerzt die Wunde wieder deutlich stärker, und als die Schwester sieht, dass man es selbst kaum fertigbringen wird, die Jacke zu öffnen, sagt sie milde: »Lass, Junge, lass mich das machen.« Sie hilft einem aus der Jacke und dem Hemd, das T-Shirt schneidet sie kurzerhand entzwei. Man wirft einen Blick auf die Wunde und es wird einem augenblicklich schlecht. Nicht, dass man kein Blut sehen kann, aber man hat ein Loch erwartet, etwas mit sauberen Linien. Was man jedoch zu sehen bekommt, sieht aus, als hätte einem jemand mit einem stumpfen Gegenstand ein Stück Muskel aus dem Oberarm gerissen: »zerfetzt« ist das Wort, das einem in den Sinn kommt. Grässlich zerfetzt. Aber die Krankenschwester scheint anderer Meinung zu sein. »Gut«, sagt sie, »Glück gehabt. Streifschuss.« Okay, denkt man, wenn sie findet, das sei gut, dann will man ihr gern glauben. Das Blut auf ihrem weißen Kittel stammt bestimmt von schlimmeren Fällen, so viel steht fest. Sie nimmt die Spritze, sticht etwa sechs Mal rund um die Wunde zu, wobei sie jedes Mal ein wenig Betäubungsmittel reinspritzt, nimmt eine große Pinzette und beginnt, die Wunde zu säubern. Nach einer Viertelstunde ist die Wunde versorgt und zugenäht, ein frischer Verband ziert den Oberarm. »Hier«, sagt sie und drückt einem eine Schachtel Tabletten in die Hand. »Drei, vier Stück am Tag sollten reichen. Und bitte mach die Wunde nicht nass. Zum Duschen Plastiksack drüber. Alles Gute.« – »Vielen Dank«, erwidert man und will schon fast »bis bald« hinzufügen, schluckt es aber im letzten Moment hinunter.
    Auf dem Weg zum Ausgang sieht man Soldaten und Zivilisten, |167| die es wirklich erwischt hat. Sie werden auf Tragen und in Betten auf

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