Drift
Bauernhaus, wo gut zwanzig Mann Gewehre und Munition aufladen und sich bereitmachen, der Hundestaffel zu folgen. »Marina, du positionierst dich weiter oben und übernimmst die Hundeführer. Dann rennst du in einem großen Bogen durch den Wald zur anderen Seite und gehst auf Joskos Höhe in Position. Also in etwa dort.« Er zeigt auf den gegenüberliegenden Waldrand. »Josko und ich gehen im Abstand von je dreißig Metern weiter nach unten und kümmern uns ebenfalls um die zweite Gruppe. Marina«, sagt er, hält sie am Oberarm fest und sieht sie ernst, aber auch irgendwie traurig an, »zwei Schüsse, dann Positionswechsel. Keine Heldentaten, keine Dummheiten, klar?« Marina nickt. »Dasselbe gilt für euch zwei. Wechselt die Position, verwirrt sie und passt auf euch auf. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass wir mindestens doppelt so viele sind, klar? Und jetzt das Wichtigste: Egal, wie es läuft, ich will euch alle in genau einer halben Stunde wieder an der Stelle sehen, wo wir vorher waren. Findest du die Stelle?« Man nickt. »Hat jeder eine Uhr?« Erneutes Nicken und Uhrenvergleich. »Eine halbe Stunde, nachdem der erste Hund tot ist. Vergesst nicht, auf die Uhr zu schauen.« Er dreht sich zu einem um und legt einem |159| die Hand auf die Schulter. »Du wartest, bis sie an dir vorbei sind. Schieß auf keinen Fall vorher, sonst ist die zweite Gruppe zu weit weg. Alles klar?« Man nickt, sagt ja, Marina und Josko ebenfalls. »Gut. Geht auf eure Posten.«
Das Warten und Beobachten ist quälend. Das Abdrücken geradezu eine Erlösung: Als die Hunde mit ihren Führern im Schlepptau den Hügel hinaufkommen und sich langsam der Höhe nähern, auf der man sich ins Gebüsch geworfen und möglichst gut mit Ästen und Laub getarnt hat, schlägt einem das Herz bis in den Hals. Man glaubt, die Hunde könnten einen riechen oder atmen hören. Aber sie sind gerade erst an den zerfetzten Leichen von Nada und dem Mädchen, dessen Namen man nicht einmal weiß, vorbeigekommen und haben die Witterung des frischen Blutes in der Nase. Und die Spur führt geradeaus in den Wald hinein. Es besteht kein Grund dafür, die Nase hochzuhalten und etwas aus dem Waldrand rechts erriechen zu wollen; die Hunde sind zielstrebig und weichen keinen Meter von der Spur ihrer Beute ab. Es sind zwei Schäferhunde und zwei andere, Mischlinge vermutlich, irgendwelche Kreuzungen zwischen Jagd- und Schäferhunden. Man hat Hunde sehr gern. Aber man weiß auch, wozu sie imstande sind, sehen sie einen als Feind.
Zwei, drei Minuten, nachdem das erste Paar an einem vorbeigegangen ist, steht man vor der Wahl: Welchen der passierenden Hunde soll man zuerst erschießen? Den vordersten oder den hintersten? Schnell versucht man durchzukalkulieren, was die verschiedenen Optionen für Folgen haben könnten, man hat kaum Zeit und verflucht sich dafür, dass man sich das nicht schon vorher überlegt hat, schließlich riskiert man mit einer falschen Entscheidung nicht nur das eigene Leben, sondern auch das von drei Kameraden. Man nimmt das Auge vom Zielfernrohr, senkt den Kopf und überlegt: Erschießt man den vordersten zuerst, werden die drei Hundeführer dahinter stehenbleiben und in die Richtung schießen, aus der sie den Schuss gehört haben; erschießt man den hintersten |160| zuerst, werden die weiter vorne dasselbe tun. Aber: Sie sind weiter entfernt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen treffen, kleiner. Außerdem kann Marina dann auf Ziele schießen, die ihr entweder den Rücken zudrehen oder seitlich zu ihr stehen, also Variante zwei. Man drückt das Auge wieder ans Zielfernrohr, zielt auf die Vorderschulter des letzten Hundes, atmet aus und drückt ab: Das Tier wird von den Pfoten gerissen und bleibt zuckend liegen. Man schaut auf, richtet das Gewehr auf den nächsten Hund, Auge aufs Zielfernrohr, abdrücken, durchladen, gleich daneben der dritte, man drückt ab, während Kugeln dumpf in den Bäumen über einem und in der Erde vor einem einschlagen; Positionswechsel, denkt man, dann, zum Teufel damit, man hört Marinas Maschinengewehr, blickt auf, drei Hunde und ein Führer liegen am Boden, von den drei Lebenden feuern zwei in die Richtung, wo man liegt, einer in Marinas Richtung.
Man robbt rückwärts, in den Schutz des Waldes, zwei Meter, drei, dann steht man auf und rennt geduckt abwärts, während Marina auf die drei schießt. Als man sich wieder hinwirft und zum Waldrand robbt, kommen nur noch aus zwei Gewehren oberhalb von einem Schüsse, der
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