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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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man im Krieg ist, und sich beim Gedanken, dass man sich lieber von Kugeln durchsieben lässt, als bei und mit ihr zu sein, sofort den nächstbesten Kerl geangelt hat, um sich von ihm trösten zu lassen, ist so greifbar, als läge man neben den beiden im Bett.
    Seltsame Gedanken, die immer seltsamer werden: Plötzlich fragt man sich, ob Boro einen wohl gemocht hat, bevor er gestorben ist, und ob Nada realisiert hat, dass man ihr mit einem gezielten Schuss auf den Serben, der auf sie zukam, das Leben gerettet hat, nur damit es ihr ein paar Minuten später doch genommen wurde, und man fragt sich, ob man dem kleinen Jungen einen Gefallen getan hat, und auch der Mutter, die nun beide weiterleben müssen, er mit dem Bild seines verstümmelten Vaters, der vom Balken in der Scheune hängt, sie mit dem Horror und den Demütigungen durch die Vergewaltigungen und dem in die Seele gebrannten Bild der durchlöcherten Tochter.
    Antun ist stehengeblieben und er nimmt einen zur Seite, während Darko, Marina und Josko kopfschüttelnd an einem vorbeigehen: »Das geht nicht, Alter, das darfst du dir nicht, nie, unter keinen Umständen leisten, kapiert!?« – »Was?«, fragt man naiv. – »Niesen!«, sagt er. Es ist einem gar nicht aufgefallen. Verdammt. »Drück dir die Nase gegen den Oberarm, in die verdammte Kniebeuge oder zwischen die Arschbacken, mach, was auch immer du willst, aber gib nie wieder ein derart lautes und eindeutig menschliches Geräusch von dir!« Man nickt schuldbewusst, klar, da hat er vollkommen recht, das geht nicht, beziehungsweise es geht und zwar extrem schief, denn ein Ast, der bricht, eine Wurzel, die knackt, das kann |212| allerlei Ursachen haben, aber ein Niesen, das ist eindeutig menschlich – ein tierisches Niesen klingt ganz klar anders, man kennt es von den Familienhunden und fragt sich, ob die serbischen Schäferhunde niesen oder ob man es ihnen mit Schlägen abtrainiert hat, schließlich ist es für einen Hund, verglichen mit einem Menschen, deutlich schwieriger, sich die Hand vor den Mund beziehungsweise vor die Schnauze zu halten; Hunde mit Pfoten auf den Nasen sehen weibisch aus. Natürlich haben sie noch die Arschbacken zur Auswahl – aber das sieht auch nicht besser aus.
    Antun legt einem die Hand auf die Schulter, dreht einen um und schubst einen weiter, während man innerlich lächelt beim Bild eines Schäferhunds, der versucht, sich die Nase – mit den Pfoten zuzuhalten: Der Schnaps hat einen am Wickel und man ist ganz eindeutig betrunken, ziemlich betrunken sogar. Man wird damit aufpassen müssen, so viel steht fest. Trotzdem bittet man Antun um einen weiteren Schluck und er zögert nicht, nimmt selbst einen langen Zug und reicht einem die Flasche.
    »Wie lange werden wir marschieren?«, fragt man und gibt ihm die Flasche zurück und er antwortet: »Die ganze Nacht lang. Und bevor es hell wird, verbuddeln wir uns und warten, bis es wieder dunkel wird.«

|213| SKOLJ
    Um an die Stelle zu gelangen, an der die junge Frau vielleicht in der Sonne liegen und ab und zu ein paar Meter schwimmen würde, um sich abzukühlen, musste Martin um die halbe Insel herum gehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie viel Zeit das in Anspruch nehmen würde – das letzte Mal hatte er die Insel im Alter von vielleicht zehn Jahren, Brüder und Cousin im Schlepptau, umrundet. Aber er wollte kein Risiko eingehen und halb verdurstet auf der »Badeseite« der Insel ankommen, wie sähe das aus: Da liegt die Schöne und räkelt sich, und Martin stolpert mit wackeligem Schritt zu ihr, lässt sich verschwitzt und erschöpft neben ihr Badetuch fallen und bittet mit den wenigen, unverständlichen Lauten, die sein verklebter Mund zu formulieren imstande ist, um etwas Flüssigkeit – nicht der ideale Einstieg nach seinem ersten Patzer am Pier, wo er sie sträflicherweise nicht gesehen hatte, sondern vom alten Barkajol auf sie aufmerksam gemacht werden musste: Nein, keine Patzer mehr, Martin würde seinen Rucksack mit allen möglichen Delikatessen in fester und flüssiger Form füllen.
    Natürlich verfluchte er sich innerlich dafür, dass ihm das erst unterwegs von der einen Insel auf die nächste in den Sinn kam, wer weiß, ob er überhaupt einen Laden finden würde und was die dort im Sortiment hatten, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern, und so sah er seiner Ankunft mit größtmöglichem Optimismus entgegen. Er trank sein Bier aus, das er bei der flinken Kellnerin in Preko über die Theke gekauft hatte,

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