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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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und die Kleine würde um ihn herumflattern wie ein Kolibri.«
    Allgemeines Gelächter, Gläser, die gehoben wurden, und als die Kellnerin Martin das Bier hinstellte, sagte der mit der Zahnlücke: »Severina, das Bier da geht auf mich.«
    Martin bedankte sich, hob sein Glas und trank auf das Wohl der Männer, die kopfschüttelnd und schenkelklopfend auf Martins Blick reagierten, der ungewollt dem prallen Hintern der Kellnerin folgte.
    »Junge, Junge, bin ich froh, dass ich aus dem Alter raus bin!«, sagte der Kapitän und Martin lächelte.
    »Sind Sie das wirklich?«
    Der Kapitän lächelte in sich hinein und schüttelte den Kopf.
    »Nein, mein Junge, dieses Kreuz trägst du ein Leben lang …«

|205| HINTER DEN LINIEN
    Die erste Flasche ist leer, bevor Marko zurückkommt.
    »Wie alt bist du eigentlich?«, fragt Antun und man antwortet: »Neunzehn.« – »Das ist Scheiße«, sagt er und man will wissen, was genau daran Scheiße ist: das Alter an sich oder der Umstand, dass man in dem Alter im Krieg ist und Leute erschießt. »Beides«, lacht Antun, »beides, mein Freund!« Sein Gesichtsausdruck wird ernst und man folgt seinem Blick: Marko kommt gerade aus dem Zelt, eine Karte zusammenfaltend. Er steckt sie in die linke Brusttasche seiner Jacke und kommt auf die Gruppe zu, die im Kreis am Boden hockt. Marko scheint unentschlossen: Stehenbleiben oder sich setzen. Aber als Marina zur Seite rückt, setzt er sich zwischen sie und Josko in den Kreis, einem direkt gegenüber. Darko greift in seinen Rucksack, holt eine zweite Flasche Schnaps hervor und hält sie Marko hin. Der nimmt sie, schaut sie einen Moment lang an, bevor er den Korken rauszieht und einen langen Zug nimmt. Als er sie absetzt, öffnet er den Mund, um zu sprechen, überlegt es sich aber im letzten Augenblick anders und nimmt noch einen großen Schluck. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, alle wollen wissen, wie es weitergeht. Schließlich holt Marko tief Luft und beginnt zu sprechen.
    »Wir gehen nach Knin«, sagt er und augenblicklich lassen Josko, Antun und Darko die Köpfe sinken. Marina schüttelt langsam den Kopf und sieht ebenfalls zu Boden. Dann hebt sie den Kopf und sieht einen besorgt an. Man zieht fragend die Augenbrauen hoch, will wissen, will begreifen, was es mit Knin auf sich hat, und die Erklärung, die Marko auf seinen ersten Satz folgen lässt, ist, wie befürchtet, der reine Horror: Knin ist voller Serben, mit vorgelagerten Stellungen, Panzern, Artillerie und Hunderten bis an die Zähne bewaffneten Freischärlern und regulären Soldaten. Das Ziel lautet, möglichst viele hochrangige Offiziere zu eliminieren.
    |206| »Das geht nicht«, sagt Josko und nimmt Marko die Flasche aus der Hand. Antun brummt: »Das ist reiner Selbstmord.« Josko nimmt einen großen Schluck und gibt die Flasche an Darko weiter, der ihm und Antun zustimmt. Auch er ist der Meinung, dass das ein Himmelfahrtskommando ist, wie es im Buche steht, nichts, woraus man lebend zurückkommt.
    Joskos Satz im Wohnzimmer kommt einem in den Sinn – »Das haben wir dir zu verdanken.« – und plötzlich hat man das Gefühl, für die Situation verantwortlich zu sein, also fragt man, ob man daran schuld sei, dass die Gruppe auf so eine katastrophale Mission geschickt werde, und die Stimme zittert, während man redet. Alle Augenpaare richten sich auf einen und man möchte im Boden versinken, nicht aus Scham, nicht, weil man glaubt, eine dumme Frage gestellt zu haben, sondern weil man an den Blicken erkennt, dass die Antwort eindeutig »Ja« lautet, aber niemand das aussprechen wird. »Nein«, sagt Marko. »Das hat nichts mit dir zu tun. Wären wir nicht zurückgekommen, würde jetzt eine andere Gruppe diese Aufgabe übernehmen.« Man weiß, dass das vielleicht stimmt, aber man weiß auch, was Darko und Josko gesagt haben: »Du triffst, worauf du schießt.« Und in dem Augenblick beschließt man, nicht zurückzukommen, sollte man nicht treffen, worauf man schießt.
    »Seid ihr die Gruppe Falke?«, fragt eine junge Stimme und alle sehen auf und man ist froh, aus dem beklemmenden Gespräch herausgerissen zu werden. Marko bejaht. Der Soldat, vielleicht zwanzig Jahre alt, sagt: »Ich hab hier zwei Magazine Spezialmunition.« Marko zeigt auf Darko und einen selbst. »Gib sie den beiden. Vielen Dank.« – »Zu Befehl!«, sagt der Junge, salutiert vor Marko, gibt die Munition ab und kehrt zum Zelt zurück.
    »Na dann«, brummt Darko‚ »immerhin Munition, die taugt.« Man nimmt eine

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