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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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warf die leere Flasche in den Mülleimer neben der Treppe und stieg die Stufen hoch, neben denen ein Schild verkündete:
Crew only
. Es war zwar verboten, das Deck zu betreten, auf dem die Brücke war, aber Martin wollte das Anlegemanöver aus der Sicht des Kapitäns mitverfolgen, und nachdem dieser ihm beim Einsteigen zugezwinkert und bemerkt hatte, Martin habe die kleine Kellnerin aber ganz schön um den Finger gewickelt, |214| machte er sich keine allzu großen Sorgen, dass der Kapitän ihn von einem der Offiziere von der Brücke weisen lassen würde. Er löste die Kette am oberen Ende der Treppe und hängte sie hinter sich wieder ein. Der Blick von hier oben war phänomenal: Das Meer, etwa fünfzehn Meter unter der Brücke, war türkisblau und kristallklar, Martin konnte problemlos einzelne Steine, Seeigel und Seesterne ausmachen; auf dem Pier hüpften die Kinder herum und sprangen mit Anlauf Kopf voran ins Meer, an Stellen, die Martin für gefährlich hielt, und überhaupt schien ihm, als würde das Schiff jeden Moment auflaufen. Er beugte sich etwas weiter über die Reling, da sah er, dass das Ufer nach ein paar Metern ziemlich steil abfiel und das Meer deutlich dunkler wurde.
    »Der Kapitän fragt, ob du reinkommen und das Manöver aus der Nähe sehen willst?«
    Martin drehte sich um und sah ins Gesicht eines jungen Offiziers, der entweder seit Jahren nicht mehr geschlafen hatte oder sonst ein Problem mit den Pigmenten unter seinen Augen hatte: Er konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein, aber nahm man die Augenpartie für sich allein, hätte man dem Mann ebenso gut sechzig geben können.
    »Wie meinen?«
    »Ob du reinkommen willst. Wenn nicht, beweg deinen Hintern wieder runter aufs Deck.«
    Martin grinste breit.
    »Aber klar, ich komme gerne!«
    Mit einer Kopfbewegung forderte er Martin auf, ihm zu folgen.
    »Na dann, mein Junge«, sagte der Kapitän, als Martin hinter dem Offizier die Brücke betrat, »pass mal schön auf.«
    »Stell dich da hin«, sagte der Offizier und zeigte auf eine Stelle links vom Kapitän. »Und komm ja nicht auf die Idee, irgendetwas anzufassen, klar!?«
    »Geht klar«, antwortete Martin, immer noch grinsend. Er stellte sich am angewiesenen Platz neben den Kapitän und betrachtete die |215| Instrumente und Schalthebel. Er suchte nach einem Lenkrad, einem Ruder, fand aber nichts Derartiges. Der Kapitän stand seitwärts vor einem Panel, auf dem sich zwei handbreite Drehknöpfe befanden, die er mit der Linken und der Rechten bediente.
    »Kein Ruder?«, fragte Martin, und der Kapitän drehte sich kurz zu ihm um und lächelte.
    »Sehr aufmerksam beobachtet. Und die zweite Frage lautet?«
    »Warum stehen Sie seitwärts?«
    »Sehr gut!«, sagte der Kapitän und nickte. »Toni, bitte erklär unserem aufmerksamen Gast, weshalb ich seitwärts stehe und die Hände auf diesen zwei seltsamen Rädchen habe, statt Ruder und Gashebel.«
    Der junge Offizier holte kurz Luft, seufzte und begann schließlich einen Vortrag, den er offenbar immer dann wieder halten musste, wenn jemand dem Kapitän sympathisch war und interessiert genug erschien, dass er ihn auf die Brücke einlud.
    »Die Anordnung der Instrumente ist seitlich, weil es sich ursprünglich um eine Flussfähre handelt und bei einem Fluss schon der Strömung und des meist fehlenden Platzes wegen immer nur seitlich angelegt wurde. Deswegen ist alles seitlich angeordnet. Und die zwei »Rädchen«, wie der Kapitän die Bedienungsinstrumente für die vier Motoren nennt, funktionieren so, dass er mit der linken Hand die Richtung der um 360° drehbaren Motoren einstellt und mit der Rechten den Schub steuert, sprich Gas gibt. Noch Fragen?«
    »Nein, vielen Dank«, antwortete Martin, »das war sehr aufschlussreich.«
    »Er mag es nicht, wenn ich Gäste hier raufhole, in sein Reich, aber gerade deswegen macht es mir so viel Spaß, stimmt’s Toni?«
    »Wie Sie meinen, Barba.«
    »Jetzt komm her, Junge, und schau gut zu«, sagte der Kapitän, der Barba.
    Martin stellte sich neben ihn und hoffte, jetzt freie Sicht auf den Schiffsrumpf und den Quai zu haben, an dem sie anlegen würden. |216| Trotzdem, fand er, sah der Kapitän von dieser Stelle aus nicht gerade ideal.
    »Sehen Sie denn gut genug von hier aus?«
    »Kein Problem. Schau, wir legen mit dem Bug an, und wenn die Laderampe zu zwei Drittel runtergelassen ist, so wie jetzt, dann kann ich den Pier genau sehen und abschätzen, wie lange ich das Schiff noch laufen lassen kann, bevor ich

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