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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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bremse.«
    Und in diesem Moment drehte er am linken Rädchen, gleich darauf am rechten, und die Motoren heulten auf und unter der Rampe konnte Martin weiß schäumendes Meer sehen und die Fähre stand Sekunden später still. Die Leinen wurden an Land geworfen und gespannt und die Rampe ganz runtergelassen.
    »Reichen die Leinen, damit das Heck nicht abgetrieben wird?«
    »Kluger Junge«, sagte der Kapitän und winkte Toni zu sich heran, damit er die Instrumente übernahm. Der Kapitän zeigte auf einen Knopf, über dem auf einem Schildchen stand:
Hold position
– und Martin verstand.
    »Willst du drücken?«, fragte der Kapitän, wie er es vermutlich immer tat, wenn Kinder auf der Brücke waren, und wie ein kleiner Junge, der gern mal Kapitän werden will, nickte Martin mit leuchtenden Augen und einem breiten Lächeln, und der Kapitän sagte: »Na dann los, drück drauf!«
     
    Später, die Fähre war leer bis auf den Teil der Besatzung, der von Gesetzes wegen draufbleiben musste, ging Martin neben dem Kapitän und den Offizieren auf ein paar Häuser gleich neben dem Anlegeplatz zu.
    »Darf ich Sie auf ein Getränk einladen?«, fragte Martin, als sie sich einem Gebäude mit Sonnenschirmen und Tischchen auf einer Art Terrasse näherten.
    »Klar darfst du. Weswegen, denkst du, hab ich dich überhaupt auf die Brücke gelassen?«
    »Ach, so läuft das …!«, sagte Martin lächelnd und sogar der bis |217| dahin eher distanzierte Toni legte ihm grinsend die Hand auf die Schulter.
    »Na komm, gehen wir was trinken.«
    Martin nickte lächelnd und die Gruppe bog in den mit Natursteinen gepflasterten Weg ein, der zur Gartenterrasse führte. Die Seeleute und Martin nahmen an einem Tisch im Schatten Platz, der ihr Stammtisch zu sein schien, so direkt hatten sie ihn angesteuert.
    Nach ein paar Gläsern Bevanda legte Martin einen großen Schein auf den Tisch, aber die Gruppe nötigte ihn dazu, das Geld wieder einzustecken.
    »Keine Chance«, sagte Toni, »du bist unser Gast und hast außerdem noch vor, ein Mädchen einzuladen, drum geh in den Laden dort (er zeigte auf das Haus, das sie ihm vorhin als einzigen, aber guten Laden auf der Insel empfohlen hatten) und kauf ein paar feine Sachen ein. Wer weiß, vielleicht hast du Glück und sie kommt im Verlauf des Tages wirklich noch vorbei.«
    Martin wusste, dass die Chancen sehr gering waren, aber es ging ihm mittlerweile nicht einmal mehr darum, das Mädchen zu sehen, viel wichtiger war ihm, die Erinnerungen an seine Kindheit wieder aufleben zu lassen, die Gerüche zu riechen, den Geschmack der im Meer gewaschenen salzigen Paprika zu schmecken und vor der Geräuschkulisse der gleichmäßig zirpenden Zikaden einzudösen. Und wenn er ihr wirklich über den Weg laufen sollte, hier, auf Skolj, oder später am Abend in Preko oder auf der Fähre oder in der Stadt, dann wäre das das Pünktchen auf dem i des heutigen Tages.
    Er verabschiedete sich und drückte allen freundschaftlich die Hand, ging in den kleinen Laden und kaufte ein paar Leckereien, ein paar Bier, eine Flasche Wein und Fruchtsäfte.
    Die Verkäuferin, vermutlich auch Besitzerin des Ladens und des Hauses, in dessen unterem Stockwerk sich das Geschäft befand, erklärte ihm genau, wie er den schmalen Weg finden würde, der um die ganze Insel herumführte; es gab noch andere pfadgleiche Wege, die gleich hinter der kleinen Siedlung begannen, aber die meisten |218| von ihnen endeten entweder bei einer Ziegenhütte, einem kleinen Gemüsegarten oder vor der Ruine einer uralten Kapelle, in der vor Ewigkeiten Fischer und Seeleute den heiligen Nikola um Glück und eine gnädige See gebeten hatten.
    Martin ging die Steintreppen und gepflasterten Gässchen zwischen den Häusern hoch, bis er zu der von der Verkäuferin beschriebenen alten Villa mit den schönen, edlen Volten gelangte, die in den Innenhof führten. Er fragte sich kurz, ob ihm das jemand übelnehmen würde, sollte er dabei erwischt werden, schob dann aber alle Bedenken zur Seite und betrat neugierig den Innenhof, weil er aus Erfahrung wusste, dass solche Höfe oft wahre Perlen waren, zu denen teils Brunnen und Säulen gehörten, die noch aus der späten Römerzeit stammten – und auch dieser Innenhof war nicht anders: hell, voller Blumen, zwischen den Säulen und Mauern dichte Weinreben, unter denen man die Stöcke und Drähte, um die sie sich rankten, nicht mehr erkennen konnte. Die Mitte des Hofes schmückte ein Brunnen mit einer weiblichen Figur, der zwar der Kopf

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