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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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und ein Arm fehlten und aus deren Krug, den sie jetzt nur noch mit einem Arm festhielt, auch kein Wasser kam, aber es brauchte nicht viel Vorstellungsvermögen, um die in weiße Tunikas gewandeten Schönheiten zu sehen, die sich in dieser antiken Oase die Zeit damit vertrieben hatten, einander das dicke, schwarze Haar zu Zöpfen zu flechten und immer wieder spitz aufzulachen, wenn ein knapp bekleideter, junger, muskulöser Bediensteter oder Sklave mit einem Korb an ihnen vorbeiging und dem Hausherrn einen neuen, gekühlten Krug Wein brachte.
    Leider saßen da keine lachenden Schönheiten in weißen Gewändern, und Martin verließ den Innenhof so leise und unauffällig, wie er ihn betreten hatte, um den Waldweg zu nehmen, der ihn um die halbe Insel herum zum beliebtesten Badestrand bringen würde – auch wenn der Begriff Strand vielleicht ein wenig übertrieben war, weil es eine Felsenküste war, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Stellen der Insel bestand dieser Abschnitt nicht aus scharfkantigen |219| Felsen, sondern aus großflächigen Platten, auf denen man sich mit einem Badetuch ausbreiten konnte, ohne nach ein paar Minuten an hundert Körperstellen das Gefühl zu haben, durchbohrt zu werden.
    Der Weg führte zunächst bergauf, mitten in den dichten Pinienwald hinein, und als Martin sich schon zu fragen begann, ob er nicht doch den falschen Pfad gewählt hatte, bog der Weg nach rechts ab und Martin sah zwischen den Bäumen hindurch, wie das Meer weiter unten die Felsen umspülte, und er hörte das laute, helle Lachen seiner beiden Brüder und sah sich mit ihnen an solchen und ähnlichen Stellen Piraten, Räuber und Indianer spielen, bis die Eltern ihnen kurz vor Sonnenuntergang zum x-ten Mal, jetzt jedoch in einem Ton, der kein Trödeln mehr duldete, befahlen, sie sollten die Seile, mit denen das Heck des Schiffes an der Insel festgemacht war, losmachen und ihre zitternden, verschrumpelten Körper sofort, subito, pronto und ohne den leisesten Muckser zur Badeinsel am Schiff befördern, sich abtrocknen und warm anziehen, bevor sie sich noch eine Lungenentzündung holten.
    Martin war bestimmt schon eine halbe Stunde unterwegs, und obwohl der Weg größtenteils im Schatten der Bäume verlief, schwitzte er aus allen Poren und beschloss, als er auf ein schönes Plätzchen stieß, an dem nur wenige Bäume den Blick auf die Küste und das Meer verstellten, Rast zu machen und sich bei einem kalten Bier (so es nicht schon lauwarm war) ein wenig abzukühlen und eine Zigarette zu rauchen – immer schön vorsichtig, was die Glut betraf, denn die Pinienwälder auf Inseln, die schon seit Monaten keinen Tropfen Regen mehr abbekommen hatten, gingen nicht nur einfach in Flammen auf, sondern explodierten förmlich und hörten erst auf zu brennen, wenn nichts mehr da war, was das Feuer fressen konnte.
    Er setzte den Rucksack ab, suchte sich einen steinlosen Fleck direkt vor einem Baum, hockte sich hin und öffnete ein Bier; das Trinken der kalten, prickelnden Flüssigkeit sandte einen Schauder über seinen ganzen Körper, und er schloss die Augen und lehnte sich mit |220| dem Rücken gegen den Baum, ohne die Flasche von den Lippen zu nehmen. Hinter geschlossenen Lidern konnte er weiter die hellen, fast weißen Felsen unter sich sehen, das kristallene, türkisblaue Meer. Er setzte die Flasche ab und öffnete die Augen. Er schloss und öffnete die Augen mehrmals; da stand ein Mädchen auf einem der Felsen. Sie hatte ein bräunlich-rotes Seidentuch umgebunden wie eine Tunika, und sie setzte langsam einen Fuß vor den anderen, während sie zum Meer hinunterstieg.
    Martin traute seinen Augen nicht, war wie vom Blitz getroffen. Er warf die Flasche rücksichtslos hin und rannte, so schnell er konnte, durch das Dickicht und über kleinere Klippen runter zu den Felsen. Er konnte den Blick wegen des schwierigen Terrains nicht konstant auf dem Mädchen behalten, und als er kurz innehielt, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch da war, hatte sie ihr Seidenkleid abgelegt und stieg vorsichtig ins Meer.
    Martin rief ihr etwas zu, er konnte sich später nicht erinnern, ob es »Hallo!« oder »Warte, bitte!« oder einfach auf Kroatisch »Mädchen, Mädchen!« gewesen war, aber sie reagierte nicht, sprang, als sie hüfttief im Meer stand, kopfüber hinein und tauchte ab. Martin nahm die letzten zwanzig Meter mit riesigen Schritten, Sprüngen eigentlich, doch als er am Fels ankam, wo sie ihren Seidenumhang hingelegt hatte und ins Meer

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