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Driver

Driver

Titel: Driver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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er einen Topf Wasser zum Kochen aufgesetzt hatte. Er kam wieder heraus und blickte auf die leeren Fenster gegenüber. Lebte da drüben jemand? Irgendwie wirkte es bewohnt, aber bislang hatte er dort keinerlei Bewegung, nicht das geringste Lebenszeichen gesehen. Eine fünfköpfige Familie wohnte in dem Apartment darunter. Egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit er hinübersah, immer schienen mindestens zwei von ihnen vor dem Fernseher zu hocken. Rechts davon, in einem der Studioapartments, hauste ein alleinstehender Mann. Jeden Abend um zwanzig vor sechs kam er mit einem Sixpack und seinem Abendessen in einer weißen Tüte nach Hause. Dann saß er da, starrte die Wand an und trank ruhig sein Bier, jede halbe Stunde eine Dose. Nach der dritten nahm er den Burger aus der Verpackung und legte los. Anschließend trank er die restlichen Biere, und wenn er damit fertig war, ging er ins Bett.
    Während der ersten ein, zwei Wochen nach Drivers Einzug wohnte eine Frau unbestimmten Alters in der Wohnung links daneben. Nach dem Duschen setzte sie sich morgens stets an den Küchentisch und rieb ihre Beine mit Körperlotion ein. Abends, wieder nackt, oder zumindest fast nackt, hing sie stundenlang an ihrem schnurlosen Telefon. Einmal hatte Driver mitbekommen, wie sie das Telefon mit voller Wucht quer durchs Zimmer schleuderte. Dann war sie ans Fenster getreten und hatte ihre Brüste an der Scheibe platt gedrückt. Mit Tränen in den Augen – oder hatte er sich das nur eingebildet? Nach dieser Nacht sah er sie nie wieder.
    Driver kehrte in die Küche zurück, schüttete kochendes Wasser in den Kaffeefilter.
    Klopfte da jemand an seine Tür?
    So etwas kam hier eigentlich nicht vor. Menschen, die an Orten wie dem Palm Shadows lebten, waren nur selten gesellig und hatten meist guten Grund, keine Besucher zu erwarten.
    »Duftet gut«, sagte sie, als er die Tür öffnete. Um die dreißig. Zerschlissene Jeans. Ein zu großes T-Shirt, schwarz, schlabberig und ausgewaschen, nur noch Reste von Buchstaben darauf, ein F, ein A, ein paar verstümmelte Vokale. Halblange blonde Haare, dunkler Haaransatz.
    »Bin gerade ein paar Türen weiter eingezogen.«
    Eine lange, schmale Hand, die ihn auf seltsame Art an einen Fuß erinnerte, tauchte vor ihm auf. Er nahm sie.
    »Trudy.«
    Er fragte nicht, was ein Weißbrot wie sie hier zu suchen hatte. Aber der Akzent beschäftigte ihn. Alabama vielleicht?
    »Hab Ihr Radio gehört, daher wusste ich, dass Sie zu Hause sind. Wollte gerade loslegen und mir ein Maisbrot backen, als mir einfiel, dass ich kein einziges Ei im Haus hab. Hätten Sie vielleicht …«
    »Sorry. Einen halben Block weiter gibt’s einen koreanischen Lebensmittelmarkt.«
    »Danke … Was dagegen, wenn ich reinkomme?«
    Driver trat zur Seite.
    »Ich kenne gern meine Nachbarn.«
    »Dann sind Sie hier wahrscheinlich im falschen Haus.«
    »War nicht das erste Mal. Hab geradezu ein Händchen dafür.«
    »Kann ich Ihnen irgendwas anbieten? Ich glaube, ich hab noch ein oder zwei Bier im Kühlschrank.«
    »Eine Tasse von dem Kaffee, den ich da gerochen habe, wäre nicht schlecht.«
    Driver ging in die Küche, füllte zwei Tassen, kehrte damit zurück.
    »Komischer Ort zum Leben«, sagte sie.
    »L.A.?«
    »Ich meine das hier.«
    »Vermutlich.«
    »Der Typ unter mir linst immer aus der Tür, wenn ich reinkomme. Die im Apartment neben mir haben rund um die Uhr den Fernseher laufen. Irgendeinen spanischen Sender. Salsa, Seifenopern, in denen die eine Hälfte umgelegt wird und die andere am laufenden Band schreit, dazu beschissene Comedy-Sendungen mit fetten Männern in rosa Anzügen.«
    »Ich sehe schon, Sie leben sich ein.«
    Sie lachte. Sie saßen da, tranken ruhig ihren Kaffee, plauderten über nichts Bestimmtes. Driver hatte noch nie ein Händchen für Smalltalk gehabt, sah auch keinen Sinn darin. Auch hatte er keine besondere Antenne dafür, was andere empfanden. Jetzt aber merkte er, dass er offen über seine Eltern redete, und bei seiner Gesprächspartnerin spürte er einen tiefen Schmerz, der womöglich nie nachlassen würde.
    »Danke für den Kaffee«, sagte sie schließlich. »War nett, mit Ihnen zu plaudern. Aber ich muss jetzt ins Bett.«
    »Man wird älter.«
    Sie gingen zur Tür. Die lange, schmale Hand tauchte wieder auf, und er ergriff sie.
    »Ich wohne in 2-G. Arbeite nachts, bin also den ganzen Tag über zu Hause. Vielleicht kommen Sie mal vorbei.«
    Sie zögerte, und als er nichts sagte, drehte sie sich um und ging den Flur

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