Drucke zu Lebzeiten
darüber zu lachen, wäre
Pflichtverletzung; es ist das Äußerste an Boshaigkeit,
was die Boshaesten unter uns Josefine zufügen, wenn
sie manchmal sagen: „Das Lachen vergeht uns, wenn
wir Josefine sehn.“
So sorgt also das Volk für Josefine in der Art eines
Vaters, der sich eines Kindes annimmt, das sein Händ-
chen – man weiß nicht recht, ob bittend oder fordernd –
nach ihm ausstreckt. Man sollte meinen, unser Volk tau-
ge nicht zur Erfüllung solcher väterlicher Pflichten, aber
in Wirklichkeit versieht es sie, wenigstens in diesem Fal-
le, musterha; kein Einzelner könnte es, was in dieser
Hinsicht das Volk als Ganzes zu tun imstande ist. Frei-
lich, der Kraunterschied zwischen dem Volk und dem
Einzelnen ist so ungeheuer, es genügt, daß es den
Schützling in die Wärme seiner Nähe zieht, und er ist
beschützt genug. Zu Josefine wagt man allerdings von
solchen Dingen nicht zu reden. „Ich pfeife auf eueren
Schutz“, sagt sie dann. „Ja, ja, du pfeifst“, denken wir.
Und außerdem ist es wahrhaig keine Widerlegung,
wenn sie rebelliert, vielmehr ist das durchaus Kindesart
und Kindesdankbarkeit, und Art des Vaters ist es, sich
nicht daran zu kehren.
Nun spricht aber doch noch anderes mit herein, das
schwerer aus diesem Verhältnis zwischen Volk und Jose-
fine zu erklären ist. Josefine ist nämlich der gegenteiligen
Meinung, sie glaubt, sie sei es, die das Volk beschütze.
[ ]
Aus schlimmer politischer oder wirtschalicher Lage
rettet uns angeblich ihr Gesang, nichts weniger als das
bringt er zuwege, und wenn er das Unglück nicht ver-
treibt, so gibt er uns wenigstens die Kra, es zu ertragen.
Sie spricht es nicht so aus und auch nicht anders, sie
spricht überhaupt wenig, sie ist schweigsam unter den
Plappermäulern, aber aus ihren Augen blitzt es, von ih-
rem geschlossenen Mund – bei uns können nur wenige
den Mund geschlossen halten, sie kann es – ist es abzule-
sen. Bei jeder schlechten Nachricht – und an manchen
Tagen überrennen sie einander, falsche und halbrichtige
darunter – erhebt sie sich sofort, während es sie sonst
müde zu Boden zieht, erhebt sich und streckt den Hals
und sucht den Überblick über ihre Herde wie der Hirt
vor dem Gewitter. Gewiß, auch Kinder stellen ähnliche
Forderungen in ihrer wilden, unbeherrschten Art, aber
bei Josefine sind sie doch nicht so unbegründet wie bei
jenen. Freilich, sie rettet uns nicht und gibt uns keine
Kräe, es ist leicht, sich als Retter dieses Volkes aufzu-
spielen, das leidensgewohnt, sich nicht schonend, schnell
in Entschlüssen, den Tod wohl kennend, nur dem An-
scheine nach ängstlich in der Atmosphäre von Tollkühn-
heit, in der es ständig lebt, und überdies ebenso frucht-
bar wie wagemutig – es ist leicht, sage ich, sich nachträg-
lich als Retter dieses Volkes aufzuspielen, das sich noch
immer irgendwie selbst gerettet hat, sei es auch unter
Opfern, über die der Geschichtsforscher – im allgemei-
[ ]
nen vernachlässigen wir Geschichtsforschung gänzlich –
vor Schrecken erstarrt. Und doch ist es wahr, daß wir
gerade in Notlagen noch besser als sonst auf Josefinens
Stimme horchen. Die Drohungen, die über uns stehen,
machen uns stiller, bescheidener, für Josefinens Befehls-
habern gefügiger; gern kommen wir zusammen, gern
drängen wir uns aneinander, besonders weil es bei einem
Anlaß geschieht, der ganz abseits liegt von der quälen-
den Hauptsache; es ist, als tränken wir noch schnell – ja,
Eile ist nötig, das vergißt Josefine allzuo – gemeinsam
einen Becher des Friedens vor dem Kampf. Es ist nicht
so sehr eine Gesangsvorführung als vielmehr eine Volks-
versammlung, und zwar eine Versammlung, bei der es
bis auf das kleine Pfeifen vorne völlig still ist; viel zu
ernst ist die Stunde, als daß man sie verschwätzen wollte.
Ein solches Verhältnis könnte nun freilich Josefine gar
nicht befriedigen. Trotz all ihres nervösen Mißbehagens,
welches Josefine wegen ihrer niemals ganz geklärten
Stellung erfüllt, sieht sie doch, verblendet von ihrem
Selbstbewußtsein, manches nicht und kann ohne große
Anstrengung dazu gebracht werden, noch viel mehr zu
übersehen, ein Schwärm von Schmeichlern ist in diesem
Sinne, also eigentlich in einem allgemein nützlichen Sin-
ne, immerfort tätig, – aber nur
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