Drucke zu Lebzeiten
Gnaden? Wie redest Du?“
Wir durchstießen den Abend mit dem Kopf. Es gab
[ ]
keine Tages- und keine Nachtzeit. Bald rieben sich unse-
re Westenknöpfe aneinander wie Zähne, bald liefen wir
in gleichbleibender Entfernung, Feuer im Mund, wie
Tiere in den Tropen. Wie Kürassiere in alten Kriegen,
stampfend und hoch in der Lu, trieben wir einander
die kurze Gasse hinunter und mit diesem Anlauf in den
Beinen die Landstraße weiter hinauf. Einzelne traten in
den Straßengraben, kaum verschwanden sie vor der
dunklen Böschung, standen sie schon wie fremde Leute
oben auf dem Feldweg und schauten herab.
„Kommt doch herunter!“ – „Kommt zuerst herauf!“
– „Damit Ihr uns herunterwerfet, fällt uns nicht ein, so
gescheit sind wir noch.“ – „So feig seid Ihr, wollt Ihr
sagen. Kommt nur, kommt!“ – „Wirklich? Ihr? Gerade
Ihr werdet uns hinunterwerfen? Wie müßtet Ihr aus-
sehen?“
Wir machten den Angriff, wurden vor die Brust gesto-
ßen und legten uns in das Gras des Straßengrabens, fal-
lend und freiwillig. Alles war gleichmäßig erwärmt, wir
spürten nicht Wärme, nicht Kälte im Gras, nur müde
wurde man.
Wenn man sich auf die rechte Seite drehte, die Hand
unters Ohr gab, da wollte man gerne einschlafen. Zwar
wollte man sich noch einmal aufraffen mit erhobenem
Kinn, dafür aber in einen tieferen Graben fallen. Dann
wollte man, den Arm quer vorgehalten, die Beine schief-
geweht, sich gegen die Lu werfen und wieder bestimmt
[ ]
in einen noch tieferen Graben fallen. Und damit wollte
man gar nicht auören.
Wie man sich im letzten Graben richtig zum Schlafen
aufs äußerste strecken würde, besonders in den Knien,
daran dachte man noch kaum und lag, zum Weinen auf-
gelegt, wie krank auf dem Rücken. Man zwinkerte,
wenn einmal ein Junge, die Ellbogen bei den Hüen,
mit dunklen Sohlen über uns von der Böschung auf die
Straße sprang.
Den Mond sah man schon in einiger Höhe, ein Post-
wagen fuhr in seinem Licht vorbei. Ein schwacher Wind
erhob sich allgemein, auch im Graben fühlte man ihn,
und in der Nähe fing der Wald zu rauschen an. Da lag
einem nicht mehr soviel daran, allein zu sein.
„Wo seid Ihr?“ – „Kommt her!“ – „Alle zusam-
men!“ – „Was versteckst Du Dich, laß den Unsinn!“ –
„Wißt Ihr nicht, daß die Post schon vorüber ist?“ –
„Aber nein! Schon vorüber?“ – „Natürlich, während Du
geschlafen hast, ist sie vorübergefahren.“ – „Ich habe
geschlafen? Nein so etwas!“ – „Schweig nur, man sieht es
Dir doch an.“ – „Aber ich bitte Dich.“ – „Kommt!“
Wir liefen enger beisammen, manche reichten einan-
der die Hände, den Kopf konnte man nicht genug hoch
haben, weil es abwärts ging. Einer schrie einen indiani-
schen Kriegsruf heraus, wir bekamen in die Beine einen
Galopp wie niemals, bei den Sprüngen hob uns in den
Hüen der Wind. Nichts hätte uns aualten können;
[ ]
wir waren so im Laufe, daß wir selbst beim Überho-
len die Arme verschränken und ruhig uns umsehen
konnten.
Auf der Wildbachbrücke blieben wir stehn; die weiter
gelaufen waren, kehrten zurück. Das Wasser unten
schlug an Steine und Wurzeln, als wäre es nicht schon
spät abend. Es gab keinen Grund dafür, warum nicht
einer auf das Geländer der Brücke sprang.
Hinter Gebüschen in der Ferne fuhr ein Eisenbahnzug
heraus, alle Coupees waren beleuchtet, die Glasfenster
sicher herabgelassen. Einer von uns begann einen Gas-
senhauer zu singen, aber wir alle wollten singen. Wir
sangen viel rascher als der Zug fuhr, wir schaukelten die
Arme, weil die Stimme nicht genügte, wir kamen mit
unseren Stimmen in ein Gedränge, in dem uns wohl war.
Wenn man seine Stimme unter andere mischt, ist man
wie mit einem Angelhaken gefangen.
So sangen wir, den Wald im Rücken, den fernen Rei-
senden in die Ohren. Die Erwachsenen wachten noch im
Dorfe, die Mütter richteten die Betten für die Nacht.
Es war schon Zeit. Ich küßte den, der bei mir stand,
reichte den drei Nächsten nur so die Hände, begann den
Weg zurückzulaufen, keiner rief mich. Bei der ersten
Kreuzung, wo sie mich nicht mehr sehen konnten, bog
ich ein und lief auf Feldwegen wieder in den Wald. Ich
strebte zu der Stadt im Süden hin, von der es in unserem
Dorfe hieß:
[ ]
„Dort sind Leute!
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