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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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ununterscheidbar in ihrer
    Menge und Eile, rosig vor Glück. Freilich, wie schön
    dies auch sein mag und wie sehr uns andere darum auch
    mit Recht beneiden mögen, eine wirkliche Kinderzeit
     können wir eben unseren Kindern nicht geben. Und das
    hat seine Folgewirkungen. Eine gewisse unerstorbene,
    unausrottbare Kindlichkeit durchdringt unser Volk; im
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    geraden Widerspruch zu unserem Besten, dem untrügli-
    chen praktischen Verstande, handeln wir manchmal ganz
    und gar töricht, und zwar eben in der Art, wie Kinder
    töricht handeln, sinnlos, verschwenderisch, großzügig,
    leichtsinnig und dies alles o einem kleinen Spaß zulie- 
    be. Und wenn unsere Freude darüber natürlich nicht
    mehr die volle Kra der Kinderfreude haben kann, et-
    was von dieser lebt darin noch gewiß. Von dieser Kind-
    lichkeit unseres Volkes profitiert seit jeher auch Josefine.
    Aber unser Volk ist nicht nur kindlich, es ist gewisser- 
    maßen auch vorzeitig alt, Kindheit und Alter machen
    sich bei uns anders als bei anderen. Wir haben keine
    Jugend, wir sind gleich Erwachsene, und Erwachsene
    sind wir dann zu lange, eine gewisse Müdigkeit und
    Hoffnungslosigkeit durchzieht von da aus mit breiter 
    Spur das im ganzen doch so zähe und hoffnungsstarke
    Wesen unseres Volkes. Damit hängt wohl auch unsere
    Unmusikalität zusammen; wir sind zu alt für Musik,
    ihre Erregung, ihr Aufschwung paßt nicht für unsere
    Schwere, müde winken wir ihr ab; wir haben uns auf das 
    Pfeifen zurückgezogen; ein wenig Pfeifen hie und da,
    das ist das Richtige für uns. Wer weiß, ob es nicht Mu-
    siktalente unter uns gibt; wenn es sie aber gäbe, der
    Charakter der Volksgenossen müßte sie noch vor ihrer
    Entfaltung unterdrücken. Dagegen mag Josefine nach 
    ihrem Belieben pfeifen oder singen oder wie sie es nen-
    nen will, das stört uns nicht, das entspricht uns, das
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    können wir wohl vertragen; wenn darin etwas von Mu-
    sik enthalten sein sollte, so ist es auf die möglichste
    Nichtigkeit reduziert; eine gewisse Musiktradition wird
    gewahrt, aber ohne daß uns dies im geringsten beschwe-
     ren würde.
    Aber Josefine bringt diesem so gestimmten Volke
    noch mehr. Bei ihren Konzerten, besonders in ernster
    Zeit, haben nur noch die ganz Jungen Interesse an der
    Sängerin als solcher, nur sie sehen mit Staunen zu, wie
     sie ihre Lippen kräuselt, zwischen den niedlichen Vor-
    derzähnen die Lu ausstößt, in Bewunderung der Töne,
    die sie selbst hervorbringt, erstirbt und dieses Hinsinken
    benützt, um sich zu neuer, ihr immer unverständlicher
    werdender Leistung anzufeuern, aber die eigentliche
     Menge hat sich – das ist deutlich zu erkennen – auf sich
    selbst zurückgezogen. Hier in den dürigen Pausen zwi-
    schen den Kämpfen träumt das Volk, es ist, als lösten
    sich dem Einzelnen die Glieder, als düre sich der Ruhe-
    lose einmal nach seiner Lust im großen warmen Bett des
     Volkes dehnen und strecken. Und in diese Träume klingt
    hie und da Josefinens Pfeifen; sie nennt es perlend, wir
    nennen es stoßend; aber jedenfalls ist es hier an seinem
    Platze, wie nirgends sonst, wie Musik kaum jemals den
    auf sie wartenden Augenblick findet. Etwas von der ar-
     men kurzen Kindheit ist darin, etwas von verlorenem,
    nie wieder aufzufindendem Glück, aber auch etwas vom
    tätigen heutigen Leben ist darin, von seiner kleinen, un-
    [  ]
    begreiflichen und dennoch bestehenden und nicht zu
    ertötenden Munterkeit. Und dies alles ist wahrhaig
    nicht mit großen Tönen gesagt, sondern leicht, flüsternd,
    vertraulich, manchmal ein wenig heiser. Natürlich ist es
    ein Pfeifen. Wie denn nicht? Pfeifen ist die Sprache unse- 
    res Volkes, nur pfei mancher sein Leben lang und weiß
    es nicht, hier aber ist das Pfeifen freigemacht von den
    Fesseln des täglichen Lebens und befreit auch uns für
    eine kurze Weile. Gewiß, diese Vorführungen wollten
    wir nicht missen.
    
    Aber von da bis zu Josefinens Behauptung, sie gebe
    uns in solchen Zeiten neue Kräe usw. usw. ist noch ein
    sehr weiter Weg. Für gewöhnliche Leute allerdings,
    nicht für Josefinens Schmeichler. „Wie könnte es anders
    sein“ – sagen sie in recht unbefangener Keckheit – „wie 
    könnte man anders den großen Zulauf, besonders unter
    unmittelbar drängender Gefahr, erklären, der schon
    manchmal sogar die genügende, rechtzeitige Abwehr
    eben dieser Gefahr

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