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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Frieden ist uns die liebste Musik; unser Le-
    ben ist schwer, wir können uns, auch wenn wir einmal
     alle Tagessorgen abzuschütteln versucht haben, nicht
    mehr zu solchen, unserem sonstigen Leben so fernen
    Dingen erheben, wie es die Musik ist. Doch beklagen
    wir es nicht sehr; nicht einmal so weit kommen wir; eine
    gewisse praktische Schlauheit, die wir freilich auch äu-
     ßerst dringend brauchen, halten wir für unsern größten
    Vorzug, und mit dem Lächeln dieser Schlauheit pflegen
    wir uns über alles hinwegzutrösten, auch wenn wir ein-
    mal – was aber nicht geschieht – das Verlangen nach dem
    Glück haben sollten, das von der Musik vielleicht aus-
     geht. Nur Josefine macht eine Ausnahme; sie liebt die
    Musik und weiß sie auch zu vermitteln; sie ist die einzi-
    ge; mit ihrem Hingang wird die Musik – wer weiß wie
    lange – aus unserem Leben verschwinden.
    Ich habe o darüber nachgedacht, wie es sich mit die-
     ser Musik eigentlich verhält. Wir sind doch ganz unmu-
    [  ]
    sikalisch; wie kommt es, daß wir Josefinens Gesang ver-
    stehn oder, da Josefine unser Verständnis leugnet, we-
    nigstens zu verstehen glauben. Die einfachste Antwort
    wäre, daß die Schönheit dieses Gesanges so groß ist, daß
    auch der stumpfste Sinn ihr nicht widerstehen kann, aber 
    diese Antwort ist nicht befriedigend. Wenn es wirklich
    so wäre, müßte man vor diesem Gesang zunächst und
    immer das Gefühl des Außerordentlichen haben, das
    Gefühl, aus dieser Kehle erklinge etwas, was wir nie
    vorher gehört haben und das zu hören wir auch gar nicht 
    die Fähigkeit haben, etwas, was zu hören uns nur diese
    eine Josefine und niemand sonst befähigt. Gerade das
    tri aber meiner Meinung nach nicht zu, ich fühle es
    nicht und habe auch bei andern nichts dergleichen be-
    merkt. Im vertrauten Kreise gestehen wir einander offen, 
    daß Josefinens Gesang als Gesang nichts Außerordentli-
    ches darstellt.
    Ist es denn überhaupt Gesang? Trotz unserer Unmusi-
    kalität haben wir Gesangsüberlieferungen; in den alten
    Zeiten unseres Volkes gab es Gesang; Sagen erzählen 
    davon und sogar Lieder sind erhalten, die freilich nie-
    mand mehr singen kann. Eine Ahnung dessen, was Ge-
    sang ist, haben wir also und dieser Ahnung nun ent-
    spricht Josefinens Kunst eigentlich nicht. Ist es denn
    überhaupt Gesang? Ist es nicht vielleicht doch nur ein 
    Pfeifen? Und Pfeifen allerdings kennen wir alle, es ist die
    eigentliche Kunstfertigkeit unseres Volkes, oder viel-
    [  ]
    mehr gar keine Fertigkeit, sondern eine charakteristische
    Lebensäußerung. Alle pfeifen wir, aber freilich denkt
    niemand daran, das als Kunst auszugeben, wir pfeifen,
    ohne darauf zu achten, ja, ohne es zu merken und es gibt
     sogar viele unter uns, die gar nicht wissen, daß das Pfei-
    fen zu unsern Eigentümlichkeiten gehört. Wenn es also
    wahr wäre, daß Josefine nicht singt, sondern nur pfei
    und vielleicht gar, wie es mir wenigstens scheint, über
    die Grenzen des üblichen Pfeifens kaum hinauskommt –
     ja vielleicht reicht ihre Kra für dieses übliche Pfeifen
    nicht einmal ganz hin, während es ein gewöhnlicher
    Erdarbeiter ohne Mühe den ganzen Tag über neben sei-
    ner Arbeit zustandebringt – wenn das alles wahr wäre,
    dann wäre zwar Josefinens angebliche Künstlerscha
     widerlegt, aber es wäre dann erst recht das Rätsel ihrer
    großen Wirkung zu lösen.
    Es ist aber eben doch nicht nur Pfeifen, was sie produ-
    ziert. Stellt man sich recht weit von ihr hin und horcht,
    oder noch besser, läßt man sich in dieser Hinsicht prü-
     fen, singt also Josefine etwa unter andern Stimmen und
    setzt man sich die Aufgabe, ihre Stimme zu erkennen,
    dann wird man unweigerlich nichts anderes heraushö-
    ren, als ein gewöhnliches, höchstens durch Zartheit oder
    Schwäche ein wenig auffallendes Pfeifen. Aber steht man
     vor ihr, ist es doch nicht nur ein Pfeifen; es ist zum
    Verständnis ihrer Kunst notwendig, sie nicht nur zu hö-
    ren sondern auch zu sehn. Selbst wenn es nur unser
    [  ]
    tagtägliches Pfeifen wäre, so besteht hier doch schon
    zunächst die Sonderbarkeit, daß jemand sich feierlich
    hinstellt, um nichts anderes als das Übliche zu tun. Eine
    Nuß aunacken ist wahrhaig keine Kunst, deshalb
    wird es auch niemand wagen, ein Publikum zusammen- 
    zurufen und vor ihm, um es zu unterhalten, Nüsse
    knacken. Tut er es

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