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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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würde.
    Hatte er wirklich Lust, das warme, mit ererbten Möbeln
    gemütlich ausgestattete Zimmer in eine Höhle verwan-
    deln zu lassen, in der er dann freilich nach allen Rich-
     tungen ungestört würde kriechen können, jedoch auch
    unter gleichzeitigem, schnellen, gänzlichen Vergessen
    seiner menschlichen Vergangenheit? War er doch jetzt
    schon nahe daran, zu vergessen, und nur die seit langem
    nicht gehörte Stimme der Mutter hatte ihn aufgerüttelt.
     Nichts sollte entfernt werden; alles mußte bleiben; die
    guten Einwirkungen der Möbel auf seinen Zustand
    konnte er nicht entbehren; und wenn die Möbel ihn hin-
    derten, das sinnlose Herumkriechen zu betreiben, so
    war es kein Schaden, sondern ein großer Vorteil.
     Aber die Schwester war leider anderer Meinung; sie
    hatte sich, allerdings nicht ganz unberechtigt, ange-
    wöhnt, bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors
    [  ]
    als besonders Sachverständige gegenüber den Eltern auf-
    zutreten, und so war auch jetzt der Rat der Mutter für
    die Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht
    nur des Kastens und des Schreibtisches, an die sie zuerst
    allein gedacht hatte, sondern auf der Entfernung sämtli- 
    cher Möbel, mit Ausnahme des unentbehrlichen Kana-
    pees, zu bestehen. Es war natürlich nicht nur kindlicher
    Trotz und das in der letzten Zeit so unerwartet und
    schwer erworbene Selbstvertrauen, das sie zu dieser
    Forderung bestimmte; sie hatte doch auch tatsächlich 
    beobachtet, daß Gregor viel Raum zum Kriechen
    brauchte, dagegen die Möbel, soweit man sehen konnte,
    nicht im geringsten benützte. Vielleicht aber spielte auch
    der schwärmerische Sinn der Mädchen ihres Alters mit,
    der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht, und 
    durch den Grete jetzt sich dazu verlocken ließ, die Lage
    Gregors noch schreckenerregender machen zu wollen,
    um dann noch mehr als bis jetzt für ihn leisten zu kön-
    nen. Denn in einen Raum, in dem Gregor ganz allein die
    leeren Wände beherrschte, würde wohl kein Mensch au- 
    ßer Grete jemals einzutreten sich getrauen.
    Und so ließ sie sich von ihrem Entschlüsse durch die
    Mutter nicht abbringen, die auch in diesem Zimmer vor
    lauter Unruhe unsicher schien, bald verstummte und der
    Schwester nach Kräen beim Hinausschaffen des Ka- 
    stens half. Nun, den Kasten konnte Gregor im Notfall
    noch entbehren, aber schon der Schreibtisch mußte blei-
    [  ]
    ben. Und kaum hatten die Frauen mit dem Kasten, an
    den sie sich ächzend drückten, das Zimmer verlassen, als
    Gregor den Kopf unter dem Kanapee hervorstieß, um
    zu sehen, wie er vorsichtig und möglichst rücksichtsvoll
     eingreifen könnte. Aber zum Unglück war es gerade die
    Mutter, welche zuerst zurückkehrte, während Grete im
    Nebenzimmer den Kasten umfangen hielt und ihn allein
    hin und her schwang, ohne ihn natürlich von der Stelle
    zu bringen. Die Mutter aber war Gregors Anblick nicht
     gewöhnt, er hätte sie krank machen können, und so eilte
    Gregor erschrocken im Rückwärtslauf bis an das andere
    Ende des Kanapees, konnte es aber nicht mehr verhin-
    dern, daß das Leintuch vorne ein wenig sich bewegte.
    Das genügte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie
     stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu
    Grete zurück.
    Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, daß ja
    nichts Außergewöhnliches geschehe, sondern nur ein
    paar Möbel umgestellt würden, wirkte doch, wie er sich
     bald eingestehen mußte, dieses Hin- und Hergehen der
    Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der Möbel auf
    dem Boden, wie ein großer, von allen Seiten genährter
    Trubel auf ihn, und er mußte sich, so fest er Kopf und
    Beine an sich zog und den Leib bis an den Boden drück-
     te, unweigerlich sagen, daß er das Ganze nicht lange
    aushalten werde. Sie räumten ihm sein Zimmer aus; nah-
    men ihm alles, was ihm lieb war; den Kasten, in dem die
    [  ]
    Laubsäge und andere Werkzeuge lagen, hatten sie schon
    hinausgetragen; lockerten jetzt den schon im Boden fest
    eingegrabenen Schreibtisch, an dem er als Handelsaka-
    demiker, als Bürgerschüler, ja sogar schon als Volks-
    schüler seine Aufgaben geschrieben hatte, – da hatte er 
    wirklich keine Zeit mehr, die guten Absichten zu prüfen,
    welche die zwei Frauen hatten, deren Existenz er übri-
    gens fast vergessen hatte, denn vor Erschöpfung arbeite-
    ten sie schon stumm, und man hörte nur das

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