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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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öers zu wiederholen,
    teils, weil er selbst sich mit diesen Dingen schon lange
    nicht beschäigt hatte, teils auch, weil die Mutter nicht
    alles gleich beim ersten Mal verstand –, daß trotz allen 
    Unglücks ein allerdings ganz kleines Vermögen aus der
    alten Zeit noch vorhanden war, das die nicht angerühr-
    [  ]
    ten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hatten anwach-
    sen lassen. Außerdem aber war das Geld, das Gregor
    allmonatlich nach Hause gebracht hatte – er selbst hatte
    nur ein paar Gulden für sich behalten –, nicht vollständig
     aufgebraucht worden und hatte sich zu einem kleinen
    Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner Türe, nickte
    eifrig, erfreut über diese unerwartete Vorsicht und Spar-
    samkeit. Eigentlich hätte er ja mit diesen überschüssigen
    Geldern die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef wei-
     ter abgetragen haben können, und jener Tag, an dem er
    diesen Posten hätte loswerden können, wäre weit näher
    gewesen, aber jetzt war es zweifellos besser so, wie es
    der Vater eingerichtet hatte.
    Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um
     die Familie etwa von den Zinsen leben zu lassen; es
    genügte vielleicht, um die Familie ein, höchstens zwei
    Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war also bloß
    eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen dure,
    und die für den Notfall zurückgelegt werden mußte; das
     Geld zum Leben aber mußte man verdienen. Nun war
    aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann, der
    schon fünf Jahre nichts gearbeitet hatte und sich jeden-
    falls nicht viel zutrauen dure; er hatte in diesen fünf
    Jahren, welche die ersten Ferien seines mühevollen und
     doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett angesetzt und
    war dadurch recht schwerfällig geworden. Und die alte
    Mutter sollte nun vielleicht Geld verdienen, die an Asth-
    [  ]
    ma litt, der eine Wanderung durch die Wohnung schon
    Anstrengung verursachte, und die jeden zweiten Tag in
    Atembeschwerden auf dem Sopha beim offenen Fenster
    verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen,
    die noch ein Kind war mit ihren siebzehn Jahren, und 
    der ihre bisherige Lebensweise so sehr zu gönnen war,
    die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden, lange zu
    schlafen, in der Wirtscha mitzuhelfen, an ein paar be-
    scheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor al-
    lem Violine zu spielen? Wenn die Rede auf diese Not- 
    wendigkeit des Geldverdienens kam, ließ zuerst immer
    Gregor die Türe los und warf sich auf das neben der Tür
    befindliche kühle Ledersopha, denn ihm war ganz heiß
    vor Beschämung und Trauer.
    O lag er dort die ganzen langen Nächte über, schlief 
    keinen Augenblick und scharrte nur stundenlang auf
    dem Leder. Oder er scheute nicht die große Mühe, einen
    Sessel zum Fenster zu schieben, dann die Fensterbrü-
    stung hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt,
    sich ans Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner 
    Erinnerung an das Befreiende, das früher für ihn darin
    gelegen war, aus dem Fenster zu schauen. Denn tatsäch-
    lich sah er von Tag zu Tag die auch nur ein wenig ent-
    fernten Dinge immer undeutlicher; das gegenüberlie-
    gende Krankenhaus, dessen nur allzu häufigen Anblick 
    er früher verflucht hatte, bekam er überhaupt nicht mehr
    zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewußt hätte, daß
    [  ]
    er in der stillen, aber völlig städtischen Charlottenstraße
    wohnte, hätte er glauben können, von seinem Fenster
    aus in eine Einöde zu schauen, in welcher der graue
    Himmel und die graue Erde ununterscheidbar sich ver-
     einigten. Nur zweimal hatte die aufmerksame Schwester
    sehen müssen, daß der Sessel beim Fenster stand, als sie
    schon jedesmal, nachdem sie das Zimmer aufgeräumt
    hatte, den Sessel wieder genau zum Fenster hinschob, ja
    sogar von nun ab den inneren Fensterflügel offen ließ.
     Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr
    für alles danken können, was sie für ihn machen mußte,
    er hätte ihre Dienste leichter ertragen; so aber litt er
    darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit
    des Ganzen möglichst zu verwischen, und je längere Zeit
     verging, desto besser gelang es ihr natürlich auch, aber
    auch Gregor durchschaute mit der Zeit alles viel genau-
    er. Schon ihr Eintritt war für ihn schrecklich. Kaum war
    sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu nehmen, die
    Türe zu

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