Drucke zu Lebzeiten
auf der Kredenz hatte er sich
die Taschen gefüllt und warf nun, ohne vorläufig scharf
zu zielen, Apfel für Apfel. Diese kleinen roten Äpfel
rollten wie elektrisiert auf dem Boden herum und stie-
ßen aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streie
Gregors Rücken, glitt aber unschädlich ab. Ein ihm so-
fort nachfliegender drang dagegen förmlich in Gregors
Rücken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als
könne der überraschende unglaubliche Schmerz mit dem
Ortswechsel vergehen; doch fühlte er sich wie festgena-
gelt und streckte sich in vollständiger Verwirrung aller
Sinne. Nur mit dem letzten Blick sah er noch, wie die
Tür seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der
schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im Hemd,
denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der
Ohnmacht Atemfreiheit zu verschaffen, wie dann die
Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem Weg die
aufgebundenen Röcke einer nach dem anderen zu Boden
glitten, und wie sie stolpernd über die Röcke auf den
Vater eindrang und ihn umarmend, in gänzlicher Ver-
einigung mit ihm – nun versagte aber Gregors Sehkra
schon – die Hände an des Vaters Hinterkopf um Scho-
nung von Gregors Leben bat.
[ ]
III.
Die schwere Verwundung Gregors, an der er über einen
Monat litt – der Apfel blieb, da ihn niemand zu entfer-
nen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische sitzen –,
schien selbst den Vater daran erinnert zu haben, daß
Gregor trotz seiner gegenwärtigen traurigen und ekel-
haen Gestalt ein Familienmitglied war, das man nicht
wie einen Feind behandeln dure, sondern dem gegen-
über es das Gebot der Familienpflicht war, den Wider-
willen hinunterzuschlucken und zu dulden, nichts als zu
dulden.
Und wenn nun auch Gregor durch seine Wunde an
Beweglichkeit wahrscheinlich für immer verloren hatte
und vorläufig zur Durchquerung seines Zimmers wie ein
alter Invalide lange, lange Minuten brauchte – an das
Kriechen in der Höhe war nicht zu denken –, so bekam
er für diese Verschlimmerung seines Zustandes einen sei-
ner Meinung nach vollständig genügenden Ersatz da-
durch, daß immer gegen Abend die Wohnzimmertür, die
er schon ein bis zwei Stunden vorher scharf zu beobach-
ten pflegte, geöffnet wurde, so daß er, im Dunkel seines
Zimmers liegend, vom Wohnzimmer aus unsichtbar, die
ganze Familie beim beleuchteten Tische sehen und ihre
Reden, gewissermaßen mit allgemeiner Erlaubnis, also
ganz anders als früher, anhören dure.
[ ]
Freilich waren es nicht mehr die lebhaen Unterhal-
tungen der früheren Zeiten, an die Gregor in den kleinen
Hotelzimmern stets mit einigem Verlangen gedacht hat-
te, wenn er sich müde in das feuchte Bettzeug hatte
werfen müssen. Es ging jetzt meist nur sehr still zu. Der
Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel
ein; die Mutter und Schwester ermahnten einander zur
Stille; die Mutter nähte, weit unter das Licht vorgebeugt,
feine Wäsche für ein Modengeschä; die Schwester, die
eine Stellung als Verkäuferin angenommen hatte, lernte
am Abend Stenographie und Französisch, um vielleicht
später einmal einen besseren Posten zu erreichen.
Manchmal wachte der Vater auf, und als wisse er gar
nicht, daß er geschlafen habe, sagte er zur Mutter: „Wie
lange du heute schon wieder nähst!“ und schlief sofort
wieder ein, während Mutter und Schwester einander
müde zulächelten.
Mit einer Art Eigensinn weigerte sich der Vater auch,
zu Hause seine Dieneruniform abzulegen; und während
der Schlafrock nutzlos am Kleiderhaken hing, schlum-
merte der Vater vollständig angezogen auf seinem Platz,
als sei er immer zu seinem Dienste bereit und warte auch
hier auf die Stimme des Vorgesetzten. Infolgedessen ver-
lor die gleich anfangs nicht neue Uniform trotz aller
Sorgfalt von Mutter und Schwester an Reinlichkeit, und
Gregor sah o ganze Abende lang auf dieses über und
über fleckige, mit seinen stets geputzten Goldknöpfen
[ ]
leuchtende Kleid, in dem der alte Mann höchst unbe-
quem und doch ruhig schlief.
Sobald die Uhr zehn schlug, suchte die Mutter durch
leise Zuspräche den Vater zu wecken und dann zu über-
reden, ins Bett zu gehen, denn hier war es doch kein
richtiger Schlaf und diesen hatte der Vater, der um sechs
Uhr seinen Dienst antreten mußte,
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