Drucke zu Lebzeiten
Derartiges hinweisen würden; das Ganze er-
scheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen.
Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da
Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen
ist.
Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, im
Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manchmal
ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere
Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich
wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus
der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppenge-
länder, hat man Lust, ihn anzusprechen. Natürlich stellt
man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt
ihn – schon seine Winzigkeit verführt dazu – wie ein
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Kind. „Wie heißt du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“,
sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohn-
sitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie
man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa
so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern. Damit ist die
Unterhaltung meist zu Ende. Übrigens sind selbst diese
Antworten nicht immer zu erhalten; o ist er lange
stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint.
Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen
wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher
eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es
sich zerrieben; das tri bei Odradek nicht zu. Sollte er
also einstmals etwa noch vor den Füßen meiner Kinder
und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden
die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar nie-
mandem; aber die Vorstellung, daß er mich auch noch
überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.
Elf Söhne
Ich habe elf Söhne.
Der Erste ist äußerlich sehr unansehnlich, aber ernst-
ha und klug; trotzdem schätze ich ihn, wiewohl ich ihn
als Kind wie alle andern liebe, nicht sehr hoch ein. Sein
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Denken scheint mir zu einfach. Er sieht nicht rechts
noch links und nicht in die Weite; in seinem kleinen
Gedankenkreis läu er immerfort rundum oder dreht
sich vielmehr.
Der Zweite ist schön, schlank, wohlgebaut; es ent-
zückt, ihn in Fechterstellung zu sehen. Auch er ist klug,
aber überdies welterfahren; er hat viel gesehen, und des-
halb scheint selbst die heimische Natur vertrauter mit
ihm zu sprechen, als mit den Daheimgebliebenen. Doch
ist gewiß dieser Vorzug nicht nur und nicht einmal we-
sentlich dem Reisen zu verdanken, er gehört vielmehr zu
dem Unnachahmlichen dieses Kindes, das zum Beispiel
von jedem anerkannt wird, der etwa seinen vielfach sich
überschlagenden und doch geradezu wild beherrschten
Kunstsprung ins Wasser ihm nachmachen will. Bis zum
Ende des Sprungbrettes reicht der Mut und die Lust,
dort aber statt zu springen, setzt sich plötzlich der
Nachahmer und hebt entschuldigend die Arme. – Und
trotz dem allen (ich sollte doch eigentlich glückselig sein
über ein solches Kind) ist mein Verhältnis zu ihm nicht
ungetrübt. Sein linkes Auge ist ein wenig kleiner als das
rechte und zwinkert viel; ein kleiner Fehler nur, gewiß,
der sein Gesicht sogar noch verwegener macht als es
sonst gewesen wäre, und niemand wird gegenüber der
unnahbaren Abgeschlossenheit seines Wesens dieses
kleinere zwinkernde Auge tadelnd bemerken. Ich, der
Vater, tue es. Es ist natürlich nicht dieser körperliche
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Fehler, der mir weh tut, sondern eine ihm irgendwie
entsprechende kleine Unregelmäßigkeit seines Geistes,
irgendein in seinem Blut irrendes Gi, irgendeine Unfä-
higkeit, die mir allein sichtbare Anlage seines Lebens
rund zu vollenden. Gerade dies macht ihn allerdings an-
dererseits wieder zu meinem wahren Sohn, denn dieser
sein Fehler ist gleichzeitig der Fehler unserer ganzen
Familie und an diesem Sohn nur überdeutlich.
Der dritte Sohn ist gleichfalls schön, aber es ist nicht
die Schönheit, die mir gefällt. Es ist die Schönheit des
Sängers: der geschwungene Mund; das träumerische
Auge; der Kopf, der eine Draperie hinter sich benötigt,
um zu wirken; die unmäßig sich wölbende Brust; die
leicht auffahrenden und viel zu leicht sinkenden Hände;
die Beine, die sich zieren, weil sie nicht tragen können.
Und überdies: der Ton seiner Stimme ist nicht voll; trügt
einen Augenblick; läßt den Kenner auorchen; verat-
met aber kurz darauf. – Trotzdem im
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